Historical Platin Band 04
hereinkommen.“
Endredi drängte sich dennoch an ihm vorbei.
Er riss sie zurück. „Ich habe gesagt, du darfst nicht hereinkommen! Sie ist sehr krank.“
Endredi blickte ihn entschlossen an, und als sie sprach, klang ihre Stimme sehr kühl und sehr vernünftig. „Ich kann sie pflegen. Ich weiß, was zu tun ist.“
„Und wenn du dann auch krank wirst …?“
„Dann werde ich es eben. Und jetzt lass mich bitte vorbei.“ Das war keine Bitte; das war eine Forderung, ein Befehl.
Einar zauderte. Er wusste nicht, was er tun sollte. Meradyce’ Anweisungen waren kurz und unklar gewesen. Doch würde Endredi ihr besser helfen können? Sie war ja noch so jung. Besaß sie schon die Umsicht und das Wissen, um die Kranke zu heilen, oder setzte er das Mädchen nur einer Gefahr aus – so wie er es mit den Sachsenkindern getan hatte, als er sie aus ihrem Heimatdorf entführte?
Er blickte seine Tochter an, die sehr gelassen und sehr selbstsicher vor ihm stand. Ja, er wollte ihrem Urteil vertrauen. Er nickte.
Endredi ging rasch zu Meradyce. Sie befühlte ihre Stirn und horchte an ihrer Brust. Sie roch an dem Aufguss, den Einar nach Meradyce’ Anweisung zubereitet hatte, und warf einen Blick auf die unberührte Speiseschüssel, die neben dem Bett stand.
„Hat sie etwas gegessen?“
„Nur ein wenig Wasser hat sie zu sich genommen.“
„Geh und sage Olva, sie möge etwas heiße, klare Brühe bringen.“ Sie zog die Felldecke von Meradyce’ Körper. „Hilf mir zuerst, ihr das Hemd auszuziehen.“
„Sie ist doch so krank …“
„Das Fieber verbrennt sie. Wir müssen sie abkühlen. Hilf mir schon!“
Einar gehorchte.
„Wo gibt es hier Wasser?“
Er nickte zu einem Eimer hinüber.
„Ist sie schwanger?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Gut. Wäre sie schwanger, würde das noch mehr an ihren Kräften zehren. Und jetzt gehe zu Olva. Halte jeden anderen fern. Und bleibe du auch fern.“
„Ich muss doch …“
Endredi richtete sich auf und lächelte grimmig. „Falls du auch noch krank wirst, wer soll dann Ull Einhalt gebieten?“
Einar blickte sie an, und Stolz erfüllte sein Herz. Zum ersten Mal zählte es nicht, ob sie seine leibliche Tochter war oder nicht. Sie war sein Kind auf eine Weise, die über Blutsbande hinausging. Er nickte langsam. „Wie du willst.“
Der Stolz leuchtete kurz in Endredis Augen auf, doch dann hustete Meradyce aufs Neue.
„Mache sie wieder gesund!“, sagte Einar auf dem Weg zur Tür, und das war flehentliche Bitte und Forderung zugleich.
„Ich werde es versuchen“, versprach Endredi und beugte sich über ihre Patientin.
Ingemar schlich leise durch die verschneiten Straßen. Sie hatte Tage gebraucht, um Lars so weit zu bringen, dass er ihr verriet, wo sich die Schenke der Sachsen befand, und noch länger hatte es gedauert, bis er ihr den Namen des Mannes nannte, mit dem Einar verhandelt hatte.
Glücklicherweise war ihr die sächsische Zunge zumindest so weit geläufig, dass sie sich in ihr verständigen konnte. Ingemar hatte Olva überredet, sie darin zu unterweisen, weil sie gedacht hatte, das würde Einar davon überzeugen, dass sie die richtige Ehefrau für ihn war. Jetzt halfen ihre Sprachkenntnisse ihr, ihn zu verraten.
Sie wickelte sich fester in ihren Umhang ein und blickte sich um. Es war dunkel und kalt, und nur wenige Menschen befanden sich auf der Straße, doch für eine unbegleitete Frau war es immer gefährlich, besonders wenn es sich um eine so junge und hübsche handelte wie Ingemar.
Als sie durch eine enge Gasse kam, hörte sie ausgelassenes Gelächter. Es drang ohne Zweifel aus einer Schenke.
Ingemar zögerte. Es war ziemlich riskant, mit einem Sachsen sprechen zu wollen, dem sie noch nie zuvor begegnet war, doch jetzt durfte sie nicht mehr umkehren. Trotzdem spürte sie einen Anflug von schlechtem Gewissen. Einar und die anderen Männer würden natürlich kämpfen. Einige von ihnen mochten vielleicht sogar in der Schlacht umkommen …
Sie straffte die Schultern. Niemals wollte sie die Beleidigung vergessen, die Einars Verbindung mit der Sachsenfrau für sie darstellte!
Ingemar stieg über einen kleinen, noch dampfenden Kothaufen und schritt durch die schmutzige, verschneite Gasse voran. Nachdem sie die Tür zu der Schenke aufgestoßen hatte, blieb sie noch einen Moment auf der Schwelle stehen, bis sich ihre Augen an die ungewohnte Helligkeit hier drinnen gewöhnt hatten.
Plötzlich fühlte sie sich von einer Hand gepackt und in den
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