Historical Platin Band 04
verlassen, denn sie ließ Einar zurück.
Auf irgendeine Art werden wir wieder heimkehren, schwor sie sich beim Anblick der Frauen und Kinder, die sich aneinanderklammerten. Irgendwie werde ich eine Möglichkeit finden, uns alle sicher nach Hause zurückzubringen.
Während der Überfahrt war sie nur froh, Endredi an ihrer Seite zu haben. Das Mädchen behielt die Ruhe und war eine große Hilfe bei den kleineren Kindern.
Glücklicherweise hielt sich das Wetter, denn im Schiff gab es ohnehin Lecks genug. Es schaffte auch nicht die Geschwindigkeit von Einars Langschiff und schien sich durch die Wellen zu wühlen wie eine Sau durch den Schlamm. Es wäre für Einar ein Leichtes gewesen, sie einzuholen, doch Meradyce hatte gesehen, wie Kendrics Soldaten das Langschiff demolierten.
Sie schaute zum Bug, wo Kendric und Adelar ins Gespräch vertieft waren. Der Junge sah Einar so ähnlich, wie er da mit weit gespreizten Beinen stand und mit dem Körper den Bewegungen des Schiffs folgte.
Jetzt erst bemerkte Meradyce die Blutflecken an Adelars Kleidung und das Schwert, das an seinem Gürtel hing. Hatte er ebenfalls für die Sachsen gekämpft?
Sie hoffte, der Junge würde seinen Vater um Gnade bitten. Viele dieser Frauen und Kinder kannte er ja näher. Vielleicht gelang es ihm, Kendric dazu zu überreden, sie nicht in die Sklaverei zu verkaufen.
Meradyce bemerkte einen Mann, der die beiden im Bug ebenfalls beobachtete. Es war ein kleiner, schmutziger, fast zahnloser Mann mit den Augen einer Ratte und dem berechnenden Blick eines Sklavenhändlers.
Sie schaute wieder zum Bug und sah, wie Adelar plötzlich die Schultern hängen ließ. Was war geschehen? Was hatte Kendric ihm erzählt? Weshalb kam der Junge jetzt so niedergeschlagen zum Heck des Schiffs?
Ohne Endredi zu beachten, die sie zurückhalten wollte, stand Meradyce auf und ging Adelar entgegen. Er blickte sie voller Trauer an. „Meine Mutter ist tot“, sagte er tonlos. „Sie ist schon vor Wochen gestorben.“
Meradyce erinnerte, was Einar ihr über den Handel des Thans erzählt hatte. Sie warf einen Blick zu Kendric und fragte sich, ob dieser Ludellas Tod wohl selbst herbeigeführt hatte. Im Augenblick sprach er mit dem kleinen Mann und deutete auf das Land, das am Horizont erschien.
„Es tut mir sehr leid, Adelar“, flüsterte sie, weil sie seine Trauer mitfühlte.
„Weshalb sollte es dir leidtun?“, fragte er.
Sie antwortete nicht. Wie hätte sie ihm sagen können, was sie über Kendric und Ludella wusste? Der Junge hatte schon schwer genug zu tragen, und es wäre ja auch denkbar, dass seine Mutter eines natürlichen Todes gestorben war.
„Adelar, du musst uns helfen“, sagte sie nach einer Weile.
Er blickte sie nur an.
„Adelar, diese Frauen und Kinder haben dir nichts angetan. Bitte deinen Vater um Gnade für sie. Lasse sie nicht in die Sklaverei verkaufen.“
„Mein Vater hat mir erzählt, was die Wikinger vorhatten. Sie wollten mich verkaufen, falls er das Lösegeld nicht bezahlte.“
„Und das glaubst du? Du glaubst, dass Einar dich verkauft hätte?“
Der Junge war verstört und verwirrt, und Meradyce’ Herz blutete für ihn, doch sie konnte ihm den Kummer nicht ersparen; zu viele Menschenleben standen auf dem Spiel. „Einar hat dich geliebt wie einen eigenen Sohn. Er wusste genau, dass dein Vater in der Lage war zu zahlen und dass er es auch tun würde.“
„Wie konnte er da so sicher sein?“, fragte Adelar. Meradyce vermochte nicht zu lügen. Er würde es merken. „Weil dein Vater schon sehr viel gezahlt hat.“
Der Junge runzelte die Stirn. „Wofür? Er hatte nie etwas mit den Wikingern zu tun.“
Kendric kam heran. „Zurück mit dir zu den anderen Weibern!“, befahl er. „Du gehörst jetzt auch zu den Barbaren.“
Meradyce wollte aufbegehren. Sie wollte Kendric ins Gesicht sagen, was sie wusste – dass er ein Verräter war und dass er für den Mord an seiner Gemahlin gezahlt hatte. Sie wollte ihm ferner sagen, dass sie ihn verdächtigte, Ludella selbst umgebracht zu haben, nachdem die Wikinger das nicht getan hatten.
Doch jetzt, da sie sich als Gefangene auf seinem Schiff befand, war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Und vielleicht würde sie auch niemals dazu Gelegenheit haben, wenn es ihr gelang, eine Fluchtmöglichkeit für sie alle zu finden.
Als sie in den Fluss einfuhren, der sie zu Kendrics Siedlung bringen würde, merkte Meradyce, dass die Soldaten unausgesetzt zu ihrer menschlichen Fracht hinüberblickten
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