Historical Saison Band 09
ausgesprochen. Aber ich weiß es dennoch.“
„Dann können Sie wohl Gedanken lesen?“
„Ja.“
Zu ihrer Überraschung begann er laut zu lachen. „Dann verraten Sie mir doch bitte, was ich jetzt gerade denke!“
„Sie wünschen sich, ich hätte nie auf Ihrer Schwelle gestanden. Wenn es nicht um die Familienehre ginge, hätten Sie mich längst davongejagt. Nun, das wird nicht nötig sein. Ich gehe nämlich freiwillig.“
„Sie irren sich gewaltig.“
„Bestimmt nicht!“
Irgendwo schrie ein Nachtvogel, und Sophie fühlte sich plötzlich entsetzlich einsam. Dabei hieß es doch, im Frühling fänden die Menschen zueinander.
„Ich ahnte ja nicht, dass Sie eine so schlechte Meinung von mir haben.“
Diesmal widersprach sie ihm nicht. Im Gegenteil! „Was erwarten Sie, wenn Sie mich ohne Rücksicht auf meinen guten Ruf küssen? Wenn Sie mir erklären, mein Buch sei so wertlos, dass niemand es veröffentlichen oder gar kaufen wird … Wenn Sie mir ständig zu verstehen geben, dass ich alles falsch mache …“
Er musterte sie nachdenklich. Und jetzt wurde auch ihm bewusst, wie romantisch der Garten im Mondlicht wirkte. „Ich halte Ihr Buch keineswegs für wertlos. Nein, ich fürchte, Sie könnten irgendetwas zu berichten haben, über dessen Bedeutung Sie sich nicht im Klaren sind. Ich möchte auf keinen Fall, dass Sie sich oder andere in Gefahr bringen.“
Sie begriff sofort, was er meinte. „Ich bin nie über irgendwelche Staatsgeheimnisse gestolpert.“
„Vielleicht doch.“
„Unsinn! Niemand hätte mir etwas anvertraut, womit ich England oder auch Napoleon hätte schaden können. Zudem ist der Krieg vorbei.“
„Der Frieden wird nicht von Dauer sein, fürchte ich.“
Natürlich wusste sie von Napoleons Drohung, zurückzukehren. Sie krauste die Stirn. „Ich verfasse einen Reisebericht. Ich schreibe über die Architektur berühmter Gebäude, über die Schönheiten der Landschaft und die Bräuche der verschiedenen Völker.“
„Und warum machen Sie dann dauernd Andeutungen über all die Skandale, von denen Sie berichten wollen?“
„Damit die Leute neugierig werden und das Buch kaufen.“
„Oh, Sophie!“ Er trat auf sie zu, strich ihr sanft mit den Fingern über die Stirn und schob ihr eine Locke, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte, hinters Ohr.
Sie stand wie versteinert. Was würde er als Nächstes tun? Würde er sie noch einmal küssen? Ach, wenn er es doch nur täte! Doch nein, wenn er sie an sich zog, würde sie ihre Gefühle für ihn nicht verbergen können. Und er durfte niemals, niemals erfahren, was sie für ihn empfand.
„Ich wünschte …“, sagte er leise und unterbrach sich. Er wünschte, er hätte sie bereits gekannt, ehe sie England wegen der Fehler ihres Vaters hatte verlassen müssen. Vielleicht hätte er sie dann vor dem unkonventionellen Leben bewahren können, das sie fern der Heimat geführt hatte. Andererseits wäre dann nie die Sophie aus ihr geworden, die er jetzt liebte.
Amüsiert über seine eigenen dummen Gedanken begann er zu lächeln. Sie war kaum zehn Jahre alt gewesen, als sie Langford Manor mit ihren Eltern den Rücken gekehrt hatte. Er selbst war damals ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren gewesen, der seine Freiheit genoss, obwohl er bereits der Armee beigetreten war. Vermutlich hätte er der kleinen Cousine überhaupt keine Beachtung geschenkt. Jetzt allerdings konnte er gar nicht anders, als ihr seine Aufmerksamkeit zu widmen. Sie war so schön, so hinreißend! Ach, er begehrte sie leidenschaftlich.
Als er ihr zärtlich über die Wange strich, erschauerte Sophie.
„Sie frieren“, murmelte er, ihr Zittern falsch deutend. „Gehen wir zurück ins Haus und tanzen wir noch einmal zusammen, um aller Welt zu beweisen, dass wir die besten Freunde sind.“
„O ja“, stimmte sie zu, „ich habe begriffen, wie wichtig es ist, stets den Schein zu wahren.“
„Darum geht es mir nicht“, behauptete er und reichte ihr den Arm. Als er sie über die Terrasse führte, stieg ihm noch einmal der Duft der Blumen in die Nase, die am Tag ihre Blüten der Sonne zugewandt hatten und die nun im Mondlicht schlummerten. Es hätte so romantisch sein können … Doch ihm war klar, dass er die schwierige Situation noch längst nicht gemeistert hatte. Dabei war er im Allgemeinen gut darin, Probleme zu lösen! Nun, sein Versagen musste wohl damit zusammenhängen, dass er keine Macht über seine Gefühle hatte. Es war seltsam, von Empfindungen übermannt zu
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