Historical Saison Band 12
wieder ansah, runzelte er die Stirn, und das Gefühl der Vertrautheit, das noch kurz zuvor zwischen ihnen geherrscht hatte, war wie weggeblasen. Sie musste nur an Corland denken, und bedrohlich dunkle Wolken zogen auf.
„Seien Sie mir nicht böse, Tanner“, bat sie.
Erstaunt hob er die Brauen. „Ich bin Ihnen nicht böse. Ich wünsche mir nur, dass Sie mir erzählen, was Sie so belastet. Vertrauen Sie mir. Ich weiß, dass ich in der Lage bin, alles wieder in Ordnung zu bringen.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Dann verraten Sie mir wenigstens Ihren Namen“, drängte er sie. „Wie lautet Ihr Vorname? Wenn wir unter uns sind, würde ich Sie gern mit einem Namen anreden, der tatsächlich zu Ihnen gehört.“
Sie zögerte. Würde ihm der Vorname genügen, um sie als Wexins Cousine und Corlands Witwe zu identifizieren? Ihr fiel keine Gelegenheit ein, bei der Tanner den Namen Marlena gehört haben konnte. Sie wollte gerade antworten.
Doch Tanner erhob sich und seufzte enttäuscht. „Egal. Verzeihen Sie, dass ich Sie dazu gedrängt habe.“ Er ging langsam zum Fenster.
Der Zeitpunkt, um es ihm zu sagen, war vorbei. Ihre körperliche Anspannung schwand, aber sie vermisste die Unbeschwertheit, die zwischen ihnen geherrscht hatte.
„Ich habe Mr Gwynne wegen der Kutschen nach Norden befragt“, sagte er, während er hinausschaute. „Er empfiehlt uns, lieber das Postschiff nach Liverpool zu nehmen. Wohin in Schottland möchten Sie?“
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Edinburgh.“
Er drehte sich zu ihr. „Ist Edinburgh Ihre Heimatstadt?“
Wieder zögerte sie.
Er winkte ab. „Ich hätte besser nicht fragen sollen.“
Sie schaute angespannt zur Seite. „Ein Schiff.“
„Ertragen Sie das?“ Mitfühlend sah er sie an.
„Wenn es sein muss.“
„Das Schiff läuft am Morgen aus. Selbstverständlich werde ich Sie begleiten. Es würde sonst seltsam aussehen.“
Erleichtert atmete sie auf. Die Schiffsreise verlor ein wenig an Bedrohlichkeit, wenn Tanner an ihrer Seite war.
Liverpool schien ihr groß genug, um unerkannt zu bleiben. Von dort aus konnte sie eine Postkutsche nehmen, vielleicht erst nach Glasgow und dann weiter nach Edinburgh. Das lag nah an Parronley – ein Ort, nach dem sie sich sehnte und an den sie sich doch nicht wagte.
Sie war die rechtmäßige Baroness Parronley. Die Parronley-Baronie war eine der wenigen, bei der die Töchter mit in die Erbfolge einbezogen wurden. Ihr Bruder und ihre Neffen waren ganz unerwartet an Typhus gestorben. Sie war in Irland gewesen, als sie die schreckliche Nachricht in einer Londoner Zeitung las, die sich Elizas Gatte regelmäßig zusenden ließ. Sie konnte noch nicht einmal richtig trauern. Sie durfte nicht in Schwarz gehen und konnte keine Blumen auf die Gräber legen.
Wegen des Schiffsunglücks würde man sie irgendwann für tot erklären – das Ende einer Baroness, die nie eine Chance gehabt hatte, ihren Titel zu beanspruchen. Wexin würde erben. Ihre Leute, die Menschen von Parronley, würden sich in den Händen eines Mörders befinden.
Mrs Gwynne klopfte erneut an der Tür und brachte ihnen das Abendessen. Zwei dampfende Fleischpasteten, eine Kanne Tee und einen Krug mit Bier.
Tanner nahm ihr das schwere Tablett ab und stellte es auf den Tisch. „Vielen Dank, Mrs Gwynne. Sie haben sogar an ein Bier gedacht.“
Sie strahlte und wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Nach all den Jahren weiß ich doch, was Männer haben wollen.“
Nachdem die Wirtin gegangen war, stocherte Marlena schweigend im Essen. Die Ungezwungenheit, die sie mit Tanner geteilt hatte, war verschwunden.
Als sie sah, dass er den letzten Bissen seiner Fleischpastete verspeist hatte, konnte sie nicht länger still bleiben. „Sie müssen nicht mit mir nach Liverpool reisen, wenn Sie es nicht möchten. Vielleicht wartet in London jemand auf Ihre Rückkehr. Ich weiß ja nicht, ob Sie verheiratet sind. Wenn Sie …“
„Ich bin nicht verheiratet“, unterbrach er sie. „Wenn ich später zurückkomme, wird das niemanden stören.“
Sie bemerkte die Traurigkeit in seiner Stimme, doch die einst hoffnungsfrohe Debütantin in ihr strahlte. Er ist nicht verheiratet.
Sie saßen schweigend da, bis Mrs Gwynne wieder anklopfte.
„Ich will nur das Geschirr abholen“, sagte sie, als Tanner die Tür öffnete. „Außerdem habe ich Nachthemden für Sie mitgebracht.“ Sie drückte ihm die Kleidungsstücke in die Hand.
„Vielen Dank“, sagte Marlena erfreut.
„Das
Weitere Kostenlose Bücher