Historical Saison Band 12
schaute ihn mitfühlend an. „Bestimmt gab es guten Grund, so lange darüber zu diskutieren.“
Tanner wusste, dass Marlena seiner Arbeit im House of Lords großen Wert beimaß. Für ihn war es eher eine lästige Pflichterfüllung, der er sich nur gern unterwarf, wenn er wichtige Dinge zur Sprache bringen konnte.
„Der verdammte Gesetzesentwurf war gut genug“, erzählte er ihr. „Ich habe keine Ahnung, weshalb man darüber den ganzen Tag streiten muss.“ Er schüttelte den Kopf.
Sie lachte. „Mein armer Mann.“
Er küsste sie erneut. „Wie ist es meiner werten Gattin heute ergangen?“ Er legte eine Hand auf ihren Bauch.
„Ich habe mich ausgezeichnet gefühlt. Ich habe sogar einige Besucher empfangen.“
Zu Tanners großer Freude und Marlenas Erstaunen war sie guter Hoffnung. Der Arzt, der sie vor langer Zeit für unfruchtbar erklärt hatte, hatte offenkundig eine Fehldiagnose erstellt. Ein Kind mit Marlena zu haben war für Tanner nichts weniger als ein Wunder.
Sie berichtete ihm von ihren Besucherinnen, die sie zumeist erst seit Kurzem kannte. Einige mochte sie, andere wollten einfach nur mit Londons neuester Marchioness befreundet sein, und wieder andere waren neugierig, der verschwundenen Viscountess zu begegnen.
Tanner genoss den Klang ihrer Stimme. Er besaß kein Anrecht auf so viel Glück, auf so viel, für das es sich zu leben lohnte. Seine Frau. Sein Kind.
Bereits eine Woche nach ihrer Rückkehr aus Parronley hatten Marlena und Tanner sich vor dem Priester der St. George Kirche in Mayfair das Jawort gegeben. Viele Angehörige des Hochadels waren bei der Trauung zugegen, darunter der Duke of Clarence. Tanner wollte vor aller Welt bezeugen, dass Marlena seine Marchioness war.
Noch vor der Hochzeit hatte Tanner mit ihr Einkäufe gemacht. Nicht an Straßenständen wie in Liverpool, sondern in den feinsten Geschäften, die Mayfair zu bieten hatte. Sie sollte wissen, dass sie alles haben konnte, was sie sich nur wünschte.
Eine Frau anderen Schlags wäre wahrscheinlich von seinen vielen Aufmerksamkeiten und der Neugier der Gesellschaft überwältigt gewesen. Es hatte ein wenig dem Eintauchen ins eiskalte Meereswasser geglichen. Alle Zeitungen brachten die Geschichte, und es schien, als redeten die Leute von nichts anderem. Marlena ertrug das Aufsehen mit derselben Standhaftigkeit, die sie während ihrer Reise durch Schottland unter Beweis gestellt hatte, und Tanner war unendlich stolz auf sie. Die gemeinsamen Nächte glichen einem Liebesrefugium inmitten des Sturms.
„Du hörst mir gar nicht zu“, beklagte sie sich.
Er lächelte. „Entschuldige, ich habe vor mich hingeträumt.“ Aber was für schöne Tagträume! „Was hast du gesagt?“
„Ich habe einen Brief von Gutsherr Hay erhalten mit einer Nachricht von Fia und Bram. Fia erwartet auch ein Kind. Ist das nicht großartig?“ Sie drückte seine Hand.
„Fantastisch.“
Tanner hatte seinen Sekretär angewiesen, allen Leuten, die ihnen geholfen hatten, Geld zu schicken. Wenn er mit Marlena in diesem Sommer nach Parronley reiste, um dort auf die Geburt ihres Kindes zu warten, würde er schauen, was er noch für Fia und Bram tun konnte. Vielleicht ein eigenes Haus und eigenes Land.
Er schloss die Augen, als Marlena sich an ihn schmiegte. Die Kutsche schwankte während der Fahrt und erinnerte ihn an das Schaukeln eines Schiffs.
Tanner dachte daran zurück, wie er im Frachtraum des Postschiffs aus Dublin gestanden hatte. Er dachte an seine Verzweiflung und wie sehr er mit der Sinnlosigkeit seines Lebens gehadert hatte. Zweifellos hätte er zugelassen, dass die See ihn verschlang, wenn es nicht darum gegangen wäre, Marlena zu retten. Er zog sie fest an sich.
Sie hatte ihn gerettet.
Er hob ihr Kinn und küsste sie. All die Liebe seines Herzens floss in diesen Kuss mit ein. Anschließend zog er sie zu sich auf den Schoß.
„Was ist los mit dir, Tanner?“, flüsterte sie, während sie seine Wangen streichelte.
„Nichts“, antwortete er. „Alles.“ Er sah ihr in die Augen. „Ich danke dir. Vielen Dank, Marlena.“
Schweigend und glücklich fuhren sie den Rest der Strecke zu ihrem Stadthaus nach Mayfair.
– Ende –
Herbststurm der Gefühle
1. KAPITEL
Oktober 1815
W ir haben uns heute hier vor Gottes Angesicht versammelt …“
Die tief stehende Herbstsonne warf ihre Strahlen durch das mittelalterliche Buntglasfenster von St. Wulfries und färbte Pfarrer Harmonds Talar und seinen Kranz weißer Haare mit kräftigen
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