Historical Saison Band 18
zu Kopf gestiegen. Doch ebenso wie die Witwe, die den ganzen Nachmittag und Abend über im Gesellschaftszimmer saß und gelassen den nicht enden wollenden Strom der Besucher willkommen hieß, bemühte sich auch Georgiana, die Angelegenheit nüchtern zu betrachten. Dennoch bereitete es ihr ein unbehagliches Gefühl, das zur Schau getragene Interesse und die Unaufrichtigkeit vieler Besucher über sich ergehen zu lassen.
Als ihr am nächsten Tag mitgeteilt wurde, dass die Kutsche Seiner Lordschaft auf sie warte, war sie daher froh, dem Haus entfliehen zu können.
Digbys Prellung war beinah vollständig abgeklungen. Als sie den Berkeley Square erreichten, begleitete er Perkins zu den Stallungen und ließ Georgiana allein das Haus betreten, das sie nur zu gut kannte. Ihr war ein wenig beklommen zumute, wenn sie an die mögliche Reaktion der Dienstboten dachte. Doch sie hätte sich keinerlei Sorgen machen müssen. Brindle, der Inbegriff eines mustergültigen Butlers, verhielt sich untadelhaft und verriet mit keinem Wimpernzucken, dass er ihr jemals zuvor begegnet war. Nachdem er sie mit einer tiefen Verbeugung ins Vestibül gebeten hatte, beglückwünschte er sie aufrichtig zu ihrer Verlobung und teilte ihr mit, dass der Viscount sie im Morgenzimmer erwarte.
Georgiana warf einen Blick auf die große Uhr im Vestibül. Es war bereits kurz vor eins. „Du meine Güte! Was für ein Langschläfer! Ich habe schon vor Stunden gefrühstückt.“
„Immer wenn Seine Lordschaft die ganze Nacht außer Haus war, pflegt er sein Frühstück etwas später einzunehmen.“ Zwinkernd fügte er hinzu: „Er versicherte mir, Sie würden das Morgenzimmer problemlos allein finden, Miss Grey.“
Doch auch Brindles freundlicher Humor nahm dem, was er einen Augenblick zuvor unabsichtlich preisgegeben hatte, nicht die Spitze. Georgiana wurde schmerzhaft bewusst, dass der Viscount die Nacht wahrscheinlich in den Armen seiner Mätresse verbracht hatte. Es hätte für sie keine Rolle spielen dürfen, ob er eine Geliebte hatte oder nicht, unglücklicherweise verhielt es sich jedoch anders. Die Erkenntnis war in diesem Moment wieder genauso schmerzhaft wie im vergangenen Herbst, als sie erstmals von der „Göttlichen Caroline“ gehört hatte.
Sie drehte sich um und ging den Flur entlang, der zum Morgenzimmer führte – fest entschlossen, sich ihre Verletzung und ihre Wut nicht anmerken zu lassen. Als sie das Zimmer betrat, war sie jedoch beim besten Willen nicht in der Lage, ihren Schrecken zu verbergen. Lord Fincham war nicht allein. Wie angewurzelt blieb sie stehen und musterte die blonden Locken seiner Besucherin.
„Ah, Georgie!“ Nachdem er von seiner Serviette Gebrauch gemacht hatte, stand der Viscount auf. „Komm herein, mein Liebling! Es passt gar nicht zu dir, so schüchtern zu sein. Hier ist jemand, der dich unbedingt kennenlernen möchte. Lady Eleanor Fincham, dies ist meine Verlobte, Miss Georgiana Grey.“
Kaum hatte sie sich versehen, da wurde ihre rechte Hand herzlich von der zierlichen Frau Anfang dreißig ergriffen. Nicht nur ihr Lächeln, sondern auch die sanftmütigen grauen Augen ließen auf einen freundlichen und aufrichtigen Charakter schließen. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich darauf gefreut habe, Ihre Bekanntschaft zu machen. Nachdem ich Bens Brief gelesen hatte, habe ich keine Sekunde gezögert, die Einladung nach London anzunehmen.“
Georgiana fiel das fröhliche Funkeln in Lady Eleanors Augen auf, das einen lebhaften Sinn für Humor verriet. „Obgleich ich vielleicht besser sagen sollte, dass ich hierher beordert wurde. Offensichtlich soll ich die Anstandsdame spielen, damit Sie das Haus sooft Sie wollen besuchen können. Auf diese Weise können Sie in Ruhe die Verlobungsfeier vorbereiten, ohne dass es Anlass für Gerede gibt. Ich werde bis nach dem Fest hierbleiben. Wenden Sie sich also bitte sofort an mich, falls ich Ihnen behilflich sein kann.“
Anschließend wandte sich Lady Eleanor an ihren Schwager und tadelte ihn, weil er bisher so wenig preisgegeben hatte. „Du hast mir gar nicht erzählt, wie bezaubernd deine zukünftige Viscountess ist“, sagte sie vorwurfsvoll. Dann wollte sie den Verlobungsring sehen und seufzte entzückt. „Ich kenne ihn schon seit Jahren, aber bis jetzt war mir nicht bewusst, was für ein großer Romantiker er ist! Nur ein Mann, der hoffnungslos verliebt ist, wählt Saphire für seine Angebetete aus, meine Liebe.“
Wie es in den letzten Tagen schon
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