Historical Saison Band 20
derselbe. Die Erkenntnis war ein so heftiger Schock für sie, dass sie fast die Besinnung verlor. Am ganzen Leib zitternd sank sie auf das Sofa, während sie noch versuchte, die Neuigkeit zu begreifen.
Es vergingen einige Momente, bevor sie sich wieder fasste und der anfängliche Schreck sich in eisige Wut verwandelte. Es war schlimm genug, dass er überhaupt kam. Aber seine Ankunft auch noch auf diese Weise anzukündigen, als wäre nichts dabei – als wäre er lediglich eine oder zwei Wochen fort gewesen und nicht acht Jahre – übertraf jedes Vorstellungsvermögen. Du kannst mich gegen drei Uhr erwarten … Wie konnte er es wagen? Die Vermessenheit, die unfassbare, unverschämte Unverfrorenheit dieses Mannes war haarsträubend.
„Zum Teufel mit dir, Anthony Brudenell!“
Sie knüllte den Brief zusammen und warf ihn ins Feuer. Dann begann sie, zutiefst beunruhigt, auf und ab zu laufen. Glaubte er wirklich, sie würde ihn willkommen heißen? Dass die vergangenen acht Jahre irgendwie ausgelöscht werden könnten und sie sich ihm an die Brust werfen würde? Dieser Gedanke brachte Claudia zur Besinnung, und sie erkannte mit einem Schauder, dass er vor dem Gesetz noch immer ihr Ehemann war, wie viele Jahre auch vergangen sein mochten.
Plötzlich fiel ihr Duvals Ankündigung ein, sie zu besuchen. Sie hielt mitten im Schritt inne. Unpassender hätte es nicht kommen können. Irgendwie musste sie ihn davon abbringen. Doch sie wusste nicht einmal, wo sie ihn erreichen könnte. Sie hatte sich nicht erkundigt, wo er wohnen würde, solange er in London blieb, und leider wusste sie auch nicht, wann er zu kommen gedachte. Die bloße Vorstellung, er könnte gleichzeitig mit Anthony eintreffen, war unerträglich. Auch ohne diese Komplikation waren die Dinge schon schwierig genug.
Unfähig, noch länger im Haus eingeschlossen zu bleiben, nahm Claudia ihre Stola und eilte in den Garten. Es wehte ein frisches Lüftchen, aber sie bemerkte es kaum, da sie in Gedanken zu sehr mit den Verwicklungen des morgigen Tages beschäftigt war. Schließlich wurde ihr klar, dass sie sich nun einmal beiden Gesprächen stellen musste. Duvals Besuch würde kurz sein müssen, er musste eben sein Anliegen so knapp wie möglich vorbringen. Was sie ihm zu sagen hatte, würde ganz gewiss nicht lange dauern. Dann konnte sie ihn fortschicken und sich dem größeren Problem stellen – Anthony.
Es war unsinnig, sich jetzt schon zu sehr zu sorgen. Eigentlich deutete doch alles darauf hin, dass er sich gar nicht für sie interessierte. Vermutlich hatte er vor, höchstens einen oder zwei Tage zu bleiben. Sie waren schließlich nur noch Fremde. Jetzt, da sie etwas ruhiger wurde, kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht nicht schlecht wäre, wenn er länger bliebe. Es gäbe ihnen die Gelegenheit, über ihre Zukunft zu reden. Warum sollten sie es noch länger hinauszögern? Ganz sicher würde er doch ebenso wenig wie sie diese Farce einer Ehe fortsetzen wollen. Natürlich stand eine Scheidung außer Frage – das wäre zu schwierig zu bewerkstelligen und zu teuer. Außerdem würden sie einen Skandal heraufbeschwören. Eine Annullierung allerdings ließe sich sehr viel diskreter arrangieren. Es war die ideale Lösung; die einzige, soweit Claudia sehen konnte. Anthony konnte keinen Grund haben, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Ihre Stimmung besserte sich ein wenig, leise Hoffnung regte sich in ihr.
Als der folgende Morgen ohne ein Zeichen von Duval verging, sank Claudia der Mut. Bei ihrem Pech würden die beiden Männer gleichzeitig ankommen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es Zeit war, sich umzuziehen. Es war eine Erleichterung, etwas zu tun zu haben.
Vor dem Spiegel hielt sie inne und musterte sich kritisch. Das narzissengelbe Morgenkleid war nicht neu, aber eines ihrer Lieblingskleider und stand ihr sehr gut. Ein gelbes Seidenband war in die dunklen Locken eingeflochten. Als Schmuck trug sie lediglich einen kleinen Goldanhänger und das dazu passende Armband. Insgesamt bot sie einen schlichten, eleganten Anblick, vielleicht zu schlicht. Claudia biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Hätte sie lieber etwas Auffälligeres anziehen sollen? Doch dann fiel ihr Blick wieder auf die Uhr. Es war bereits Viertel vor drei! Sie musste hinuntergehen. Das narzissengelbe Kleid musste genügen.
Als sie gleich darauf den Salon betrat, zog sich ihr der Magen schmerzhaft zusammen. Unwillkürlich sah sie wieder zur Uhr – zehn Minuten vor drei. Noch immer
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