Historical Saison Band 20
treffen könnten. „Der Winter war so ermüdend, meine Liebe, und ich sehne mich nach deiner lebhaften Gesellschaft. Mir erscheint es wie eine Ewigkeit, seit ich das letzte Mal von dir gehört habe. Schreib mir bitte bald, wie es dir geht. In freundschaftlicher Zuneigung, Anne.“
Claudia lächelte und machte sich daran, eine Antwort zu verfassen, obwohl sie ihrer Freundin natürlich nicht sagen konnte, wo sie die letzten Wochen verbracht hatte. Tatsächlich würde sie sich sehr über ein wenig weibliche Gesellschaft freuen, und ganz besonders Anne hatte ihr sehr gefehlt.
Schnell beantwortete sie noch eine Reihe weiterer Briefe. Der größte Teil des Morgens verging mit dieser Aufgabe, und am Ende erhob Claudia sich und griff nach ihrer Stola, um ein wenig frische Luft zu schnappen.
Sie wandte sich um, und ihr Blick wanderte unwillkürlich zu dem Porträt über dem Kamin. Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt in scharlachroter Uniform schien ihren Blick erwidern zu wollen. Sein Gesichtsausdruck war kühl, unnahbar und verriet nichts von den Gefühlen in jenen tiefblauen Augen. Goldblondes Haar umgab das klassisch schöne Gesicht. Claudia betrachtete das Porträt nachdenklich. Wie alt war Anthony gewesen, als es gemalt worden war? Vielleicht zwanzig? Wahrscheinlich sah es ihm sehr ähnlich, aber es vermittelte keineswegs die Natur des jungen Mannes, den sie nur so kurze Zeit gekannt hatte. Zweifellos sah er inzwischen ganz anders aus. Die acht Jahre, die er im Krieg verbracht hatte, mussten ihre Spuren bei ihm hinterlassen haben. Das Bild war das Einzige, was von ihm geblieben war. Wenn es nicht gewesen wäre, hätte sie vielleicht sogar vergessen, wie er aussah. Sie seufzte und wandte sich endgültig ab.
Ein diskretes Klopfen an der Tür verkündete die Ankunft des Butlers. „Die Zeitungen aus London sind gekommen, Mylady.“
„Vielen Dank, Walker. Lassen Sie sie bitte dort drüben auf dem Tisch.“
„Verzeihen Sie, Mylady, aber ich denke, Sie sollten sie vielleicht doch lieber gleich ansehen.“
„Warum? Was ist geschehen?“
„Napoleon ist von Elba geflohen.“
„Was?“
„Es ist wahr, Mylady. Offenbar ist er am ersten März in Cannes gelandet und versucht nun, neue Anhänger um sich zu scharen.“
„Grundgütiger!“
Claudia griff nach der Times und überfolg die Titelseite. Walker hatte sich nicht geirrt. Sie runzelte die Stirn. Die Ausgabe war bereits mehrere Tage alt und die Neuigkeit noch einige Tage älter, also musste Napoleon seit mindestens einer Woche auf freiem Fuß sein. Sollte es ihm gelingen, genügend Männer zu finden, um eine Armee aufzustellen, würde das erneut Krieg bedeuten. Der Frieden hatte noch nicht einmal ein Jahr angedauert, und nun das. Zu allem Übel lief ein französischer Spion frei herum, der viel zu viel über das englische Geheimdienstnetz wusste.
Doch es blieb ihr nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken, denn da Claudia einige Wochen lang fort gewesen war, verlangten dringende Angelegenheiten auf dem Gut ihre Aufmerksamkeit. Ein Gespräch mit ihrem Verwalter lenkte ihre Gedanken auf die nächste Aussaat, die neu geborenen Lämmer und die nötige Anschaffung einer neuen Sämaschine. Anschließend machte sie sich daran, die Rechnungsbücher durchzusehen. Sie war noch damit beschäftigt, als Walker eintrat und ihr einen Brief reichte.
Eher widerwillig nahm sie ihn vom Silbertablett in der Annahme, er müsse von Duval sein, der seine Ankunft am folgenden Tag bestätigen wollte. Doch ein Blick auf den Absender zeigte ihr, dass sie sich geirrt hatte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Obwohl sie sie erst bei wenigen Gelegenheiten zu sehen bekommen hatte, war die elegante, kühne Handschrift unverkennbar. Betroffen konnte sie einen Moment lang nur darauf starren. Dann holte sie tief Luft und brach das Siegel. Der Brief bestand aus einem einzigen Blatt Papier, auf dem eine kurze Nachricht stand.
Meine liebe Claudia,
ich hoffe, dass du mir die Kürze meines Schreibens vergeben wirst, aber da ich nun wieder in England bin, erschien es mir unnötig, mich schriftlich weiter auszulassen. Vielmehr freue ich mich darauf, morgen auf Oakley Court persönlich mit dir zu reden. Du kannst mich gegen drei Uhr nachmittags erwarten.
Dein ergebener Diener
Brudenell
Claudias Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Anthony war wieder da und kam hierher zurück! Das konnte nicht sein! Es musste ein Irrtum sein. Hastig überflog sie wieder die Worte, aber der Inhalt war noch immer
Weitere Kostenlose Bücher