Historical Saison Band 20
warum?“
Sie hob eine Augenbraue. „Mein lieber Monsieur Genet, die gesamte vornehme Gesellschaft wird dieses Jahr dort sein, ebenso jeder ranghohe Offizier und die meisten gekrönten Häupter Europas. Es verspricht eine nie da gewesene Saison zu werden.“
„Ich verstehe.“
„Da ich also ohnehin dort sein werde, wäre es doch ein Jammer, wenn Sie meine Fähigkeiten nicht nutzen.“
Er zögerte. „Nun, wenn Sie es so ausdrücken …“
Claudia hielt seinem Blick stand. „Ich möchte etwas für mein Land tun, wie gering es auch sei. Um Alain Poirets willen, wenn schon aus keinem anderen Grund.“
„Da gibt es wirklich etwas, das Sie tun könnten. Es ist nicht sehr riskant, wäre aber ausgesprochen nützlich.“
„Sagen Sie es mir.“
„Poiret hatte eine Geliebte, eine Mademoiselle Fournier. Sie ist aus Paris geflohen, nachdem er in Gefangenschaft geriet, und hält sich jetzt in Brüssel auf. Es wäre möglich, dass sie etwas weiß.“
„Ihre Agenten haben doch gewiss schon mit ihr gesprochen.“
„Sie haben es versucht. Doch Mademoiselle Fournier behauptet steif und fest, nichts zu wissen, und weigert sich, mehr dazu zu sagen.“
„Was kann ich also tun?“
„Sie mag eher bereit sein, mit einer Frau zu reden.“ Er hielt inne. „Falls Sie etwas in Erfahrung bringen können, berichten Sie es bitte sofort.“
„Wie soll ich meinen Kontaktmann finden?“
„Er wird Sie finden. In der Zwischenzeit gebe ich Ihnen Mademoiselle Fourniers Adresse.“
Claudia kehrte mit einem gewissen Hochgefühl nach Oakley Court zurück. Selbst das schlechte Wetter konnte ihre Laune nicht beeinträchtigen. Indem sie sie sich mit Aufgaben auf dem Gut beschäftigte, verging der Rest der Woche recht schnell. Nur die Abende machten ihr zu schaffen. Der leere Platz am Ende des Tisches erinnerte sie immer wieder daran, dass sie sich viel mehr an Anthonys Gegenwart gewöhnt hatte, als gut für sie war. Trotz ihrer größten Bemühungen hatte er ihr gefehlt, und sie musste diese Gewohnheit unbedingt ablegen, bevor sie verletzt wurde.
Nach dem Mahl versuchte sie zu lesen, aber „Camilla“ vermochte sie nicht lange zu fesseln. Es war eine ihrer Lieblingsgeschichten, aber irgendwie erschien ihr Edgar Mandelbert nicht mehr als so strahlender Held wie sonst. In Gedanken war sie viel zu sehr mit einem ganz anderen Mann beschäftigt. Sie seufzte. Es wäre lächerlich, die beiden miteinander vergleichen zu wollen. Niemand könnte der Vorstellung eines idealen Helden weniger entsprechen als Anthony Brudenell. Und doch hatte er in nur wenigen Wochen einen unauslöschlichen Eindruck auf sie gemacht. Nein, nicht einmal in Wochen, verbesserte sie sich, sondern sofort. Wenige Minuten mit ihm in einem Bett hatten gereicht, um Männer wie Edgar Mandelbert und seinesgleichen für immer uninteressant für sie zu machen. Die Erinnerung daran genügte, um ihr Blut in Wallung zu bringen.
Eine Windböe schleuderte den Regen gegen das Fenster. Gelegentlich fielen Tropfen durch den Kamin herein und zischten im Feuer auf. In weiter Ferne hörte Claudia leises Donnergrollen. Das Geräusch vertiefte noch das Gefühl der Einsamkeit in ihr. Obwohl es erst neun Uhr war, wurde sie von plötzlicher Müdigkeit erfasst und beschloss, heute früher zu Bett zu gehen.
Ihr Schlafzimmer mit dem fröhlich knisternden Feuer war wundervoll warm und gemütlich. Zufrieden zog sie sich aus und schlüpfte ins Bett, den Blick auf den Tisch gerichtet, wo sonst ihr Buch lag. Trotz seiner Unzulänglichkeiten würde Edgar Mandelbert für heute genügen müssen. Dann allerdings fiel ihr ein, dass sie den Roman im Salon gelassen hatte. Doch statt wieder nach unten zu gehen, schmiegte sie sich lieber unter die Decke und schloss die Augen.
Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Es verging mindestens eine halbe Stunde, bevor sie in unruhigen Schlummer fiel. Im Traum erschien ihr nicht der Held aus ihrem Roman, sondern ein anderer Mann, dessen Berührung ihre Leidenschaft entfachte und dessen Küsse sie jede Angst vor Intimitäten vergessen ließ. Plötzlich war sie wieder in Paris, nackt an seinen nackten Leib geschmiegt, während seine Hände sie voller Neugier erkundeten, süße, verbotene Gefühle in ihr weckten, die sie nach mehr dürsten ließen. Claudia gab jeden Widerstand auf und erwiderte seine Liebkosungen. Doch in der Straße unter ihnen hörte sie Pferdegetrappel und dann Stimmen. Die Polizei war gekommen. Dann ertönte ein betäubend lauter
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