Historical Saison Band 20
er hatte erkennen müssen, wie tragisch sein Aussehen sich verändert hatte. Bis dahin hätte er sich nicht für eitel gehalten – an jenem Tag wurde er eines Besseren belehrt. Davor hatte er sein attraktives Gesicht als gegeben hingenommen, doch damals hätte er kaum die Fratze wiedererkannt, die ihm aus dem Spiegel entgegenblickte. So hatte er sein zerstörtes Gesicht zusammen mit seinen Gefühlen hinter einer Maske verborgen und war schließlich sogar so weit gegangen, eine andere Identität anzunehmen. Als Antoine Duval war es einfach, die Nähe zu anderen Menschen zu meiden. Für Anthony Brudenell sahen die Dinge schon anders aus. Er hatte gehofft, Claudia könnte die äußere Hülle vergessen und den Mann sehen, der er wirklich war, aber diese Hoffnung hatte sich zerschlagen. Selbst in der Dunkelheit machten sich die Narben bemerkbar. Wäre er nicht unerwartet mitten in der Nacht zurückgekommen, hätte dieses scheinbar romantische Zwischenspiel niemals stattgefunden, das wusste er.
Claudia spürte, wie er sich von ihr löste, ihr langsam wieder das Nachthemd über Brüste und Schultern zog und schließlich die bloßen Beine bedeckte. Er rückte von ihr ab und setzte sich an den Rand des Sofas. Sie schluckte mühsam.
„Anthony? Was ist? Stimmt etwas nicht?“
„Nein. Oder vielmehr nichts, woran dich eine Schuld träfe.“
„Was meinst du damit?“
„Ich meine, es genügt nicht, meine Süße.“
„Was genügt nicht?“
„Diese ganze Situation.“ Er bückte sich, um seine Jacke aufzuheben, und stand auf. „Es tut mir leid.“
Damit wandte er sich ab und ging zur Tür. An der Schwelle blieb er kurz stehen und sah sich zu ihr um. Dann war er fort, und Claudia schaute ihm verwirrt und ungläubig nach. Halb schien es ihr, als hätte sie die letzten zehn Minuten nur geträumt. Doch sie brannte noch überall von seinen Berührungen. Gedankenverloren legte sie sich die Finger an die Lippen. Es war ganz bestimmt wirklich gewesen. Er hatte sie begehrt, jedenfalls hatte es so geschienen, nur um sie gleich darauf zurückzuweisen. Und es war nicht das erste Mal. Ihre Verwirrung verwandelte sich in Beschämung. Zitternd erhob sie sich vom Sofa, fand ihre Stola und wickelte sie Schutz suchend um sich. Dann griff sie nach dem Kerzenhalter und ging langsam auf ihr Zimmer zurück.
Sie erreichte es ungehindert. Aus Anthonys Zimmer drang kein Laut, obwohl ein schwacher Lichtschimmer unter der Tür ihr zeigte, dass er da war. Einen flüchtigen Moment lang überlegte sie, ob sie klopfen sollte, um die Sache mit ihm zu klären. Doch ebenso schnell verwarf sie den Gedanken. Wie könnte sie ihm jetzt hinterherlaufen? Was sollte sie sagen? Sie hatte aufgehört, die Gleichgültige zu spielen, im Grunde offen zugegeben, dass sie ihn begehrte. Keine vornehme Frau findet Vergnügen an sinnlichen Intimitäten. Was für ein Unsinn das war. Sie hatte sie nicht nur genossen, sondern mit jeder Faser ihres Körpers nach mehr verlangt. Das konnte doch nicht falsch sein! Immerhin war er ihr Ehemann!
In jedem Fall war eine Demütigung mehr als genug für eine Nacht. Nein, nicht nur für eine Nacht, sie hatte überhaupt genug davon. Obwohl sie es nicht anders verdient hatte. Wer mit dem Feuer spielte, verbrannte sich. Wenn sie daran dachte, wie sehr sie sich hätte verbrennen können, wurde sie von tiefer Traurigkeit erfasst. Dieses flüchtige Abenteuer hätte sehr ernste Folgen haben können. Es hätte einfach nicht geschehen dürfen, weil es peinlich und erniedrigend war und ihr zeigte, wie sehr sie die Orientierung verloren hatte. Es war sehr wichtig, dass sie ihr Leben wieder in den Griff bekam, bevor so etwas wieder passierte. Das nächste Mal würde es ihr vielleicht nicht gelingen, so glimpflich davonzukommen. Sie betrat ihr Zimmer und schloss hinter sich ab.
12. KAPITEL
A nthony lehnte am Kaminsims und starrte blicklos ins Feuer, seine Gedanken in Aufruhr. Er wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Er wusste nur, dass er die Dinge nicht so lassen konnte, wie sie waren. Inzwischen hatte er eingesehen, dass er überreagiert hatte. Er hatte völlig unvernünftig gehandelt, da er zugelassen hatte, dass übertriebene Empfindlichkeit sein Urteil trübte. Eine flüchtige Berührung war nicht mehr als genau das. Auf keinen Fall hätte er sie überbewerten dürfen, aber alte Gewohnheiten ließen sich nicht so leicht ablegen. Ihm wurde klar, dass er versuchen musste, Claudia alles zu erklären. Der Himmel wusste, wie schwer
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