Historical Weihnachten Band 6
respektieren konnte. Kinder wünschte er sich, denen er ein besserer Vater sein wollte, als sein eigener es für ihn gewesen war.
Er hatte geglaubt, die Frau endlich gefunden zu haben, doch Lady Giselle machte es ihm nicht leicht.
Sie gab sich launenhaft und kapriziös, aus unerfindlichen Gründen sogar abweisend und kühl. Mit seinem Auftritt gestern Abend beim Gauklerspiel hatte er sie erweichen wollen, doch während alle anderen gelacht und sich auf die Schenkel geklopft hatten, hatte sie nur mit versteinertem Gesicht dagesessen und war wie ein Geist plötzlich verschwunden.
Im Grunde konnte er es ihr nicht einmal übel nehmen, denn die Sache war ihm einfach aus der Hand geglitten und zu einer Posse verkommen, in der Giselle nicht gerade vorteilhaft dargestellt wurde. Und das alles nur, weil er sich auf andere Gedanken bringen und ausgelassen sein wollte, in der trügerischen Hoffnung, dass Heiterkeit ansteckend und Humor heilsam sein würde. Doch Giselle war nicht so leicht zu beeindrucken wie all die anderen Frauen, denen sein Aussehen und sein Reichtum allein gereicht hätten, um ihn bedingungslos zu akzeptieren. Giselles Maßstäben zu genügen war unerwartet schwierig, und gerade diese Herausforderung reizte Myles Buxton. Mehr denn je wünschte er sich, sie zu überzeugen. Die schwersten Turniere gegen die stärksten Gegner zu gewinnen war eine Bagatelle im Vergleich zu der Kraft, die es kostete, die Achtung dieser Frau zu erringen.
Gelänge es ihm nicht, dann wäre er für immer geschlagen, und jede andere Frau in seinem Leben würde lediglich den zweiten Platz einnehmen. Wie seine Mutter im Leben von Charles Buxton, seinem Vater. Wie er würde Myles vielleicht widerstrebend eine andere Verbindung eingehen, um aus Pflichtgefühl gegenüber der Familie Nachkommen zu zeugen. Die Verbitterung aber über den Verlust der einzigen Frau, die ihm je etwas bedeutet hatte, würde ihn ein Leben lang begleiten.
Charles Buxton hatte seinem Schicksal nicht entrinnen können, doch sein ungeliebter Sohn hatte noch eine Chance. Giselle könnte glücklich mit ihm werden, wenn sie nur ihre Vorurteile einmal überdenken würde. Er musste lediglich sein Temperament zügeln und ihr deutlich machen, wie viel ihm an ihr lag.
Nicht, weil er nur die dumme Wette gewinnen wollte, zu der er sie unbedacht herausgefordert hatte und die nun wie ein unüberwindliches Hindernis zwischen ihnen stand. Könnte er das nur ungeschehen machen!
Vielleicht würde ihm das Geschenk helfen, das er in aller Frühe in ihr Gemach hatte bringen lassen; sie könnte es aber genauso gut ablehnen wie die anderen beiden, die ihr offensichtlich nicht gefallen hatten.
Myles trat ans Fenster. Bleigraue Schneewolken verdunkelten den fahlen Winterhimmel wie ein Abbild seiner gedrückten Stimmung. Er musste Giselle davon überzeugen, dass er nicht der wertlose Mensch war, für den sein Vater ihn hielt; ihre Liebe wäre für ihn das Geschenk seines Lebens, und war Weihnachten nicht auch das Fest der Liebe, der Geschenke und … der Wunder?
Tatsächlich trat wie durch ein Wunder in diesem Moment Lady Giselle in den Hof, blieb kurz stehen, zog die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf und eilte hinüber zur Kapelle. Sir Myles sah sie nur für einen flüchtigen Augenblick, doch er entdeckte etwas, das seine düstere Stimmung schlagartig erhellte. Er drehte sich um, lief zur Tür und hastete die Treppen hinunter. Seinen Umhang ließ er achtlos zurück.
6. KAPITEL
S ie hatte sich alles so schön ausgemalt! Um Sir Myles zu zeigen, dass sie ihm seinen Auftritt mit den Gauklern nicht übel nahm, hatte Giselle sein Geschenk diesmal angezogen.
Er hatte es früh am Morgen durch Mary überbringen lassen, anstatt es ihr persönlich zu übergeben. Das ehrte ihn, bewies, dass er Takt besaß und sich zurücknehmen wollte, nachdem er gestern Abend mit dem Possenspiel vielleicht zu weit vorgeprescht war.
Es war an der Zeit, ihm die Zweifel zu nehmen und ihm deutlich zu machen, dass sie sich amüsiert hatte. Sie war nicht beleidigt, und durch den blauen Seidenschal, den er ihr diesmal hatte zukommen lassen, wollte sie ihn das wissen lassen. Aber Sir Myles war nicht in der Kapelle.
Vater Paul schwenkte Weihrauch in der Luft und begann mit seiner Liturgie, doch jedes Mal, wenn ein verspäteter Besucher die leise knarrende Tür öffnete und einen kalten Lufthauch mit hereinbrachte, wurde Giselle aus ihrer Andacht gerissen und warf einen hoffnungsvollen Blick über die
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