Historical Weihnachten Band 6
genauso“, fuhr Sir Wilfrid fort. „Sie haben zwar aus freien Stücken geheiratet, aber ihre Ehe war überschattet vom frühen Tod seiner ersten Verlobten, die Charles Buxton aufrichtig geliebt haben muss. Ihm war danach alles gleichgültig, und Myles’ Mutter Edith war zwar reich, aber nicht mehr ganz jung. Sie konnte wahrscheinlich nur noch wählen zwischen dieser Heirat oder dem Kloster.“
„Das ist eine traurige Geschichte“, sagte Lady Giselle betroffen. „Aber so verzweifelt wie diese Frau bin ich noch lange nicht. Und Sir Myles sicher auch nicht.“
Sir Wilfrid stand auf und drückte seine Nichte innig an seinen dicken runden Bärenbauch. „Er ist ein guter Mann, mein Kind. Du verdienst den besten, und wenn du das auch im Augenblick bezweifelst, Myles Buxton ist der beste.“
„Ich verstehe nicht, warum er mich überhaupt heiraten will. Die unglückliche Ehe seiner Eltern müsste ihn doch abschrecken.“
„Ehrlich gesagt, das verstehe ich auch nicht so ganz. Aber du kannst sein Werben auf jeden Fall als Kompliment betrachten. Also, Giselle, gib ihm eine Chance.“
Der eindringliche Appell ihres Onkels rührte Giselle, und sie fand, dass es vielleicht einen Versuch wert wäre. Deshalb nickte sie und sagte leise: „Also gut, ich verspreche es.“
Das Gespräch mit ihrem Onkel hatte Lady Giselle in tiefe Verwirrung gestürzt, und ihr war, als strauchelte sie orientierungslos durch dichten Nebel. Je mehr sie über Sir Myles nachdachte, desto unverständlicher wurde ihr sein Verhalten. An ihrem Entschluss, so lange wie möglich ungebunden und frei zu bleiben, hatte sich nichts geändert, und doch hätte sie jetzt gern mehr über ihn erfahren.
Er jedoch hatte sich schon vor dem abendlichen Mahl zu den Gauklern gesellt, wo er sich, verschwörerisch flüsternd und dann wieder laut lachend, mit Matthew unterhielt. Er machte keine Anstalten, den Tisch der Truppe zu verlassen. Kurz bevor die Speisen serviert wurden, schickte er einen Diener zu Giselle und ließ ihr ausrichten, dass er bei den Schauspielern bleiben würde, falls sie nichts dagegen hätte.
Natürlich hatte sie! Sir Myles war ein Edelmann, und die Adeligen blieben unter sich an den Hohen Tischen. Alles andere wäre ein Bruch der Etikette, und das würde natürlich auf sie zurückfallen. Merkwürdig, was auch immer er tat, wissentlich oder unwissentlich kränkte er sie damit. Mit dieser Strategie würde er sie nie für sich gewinnen, aber er war ihr Gast. Also nickte sie hoheitsvoll und ließ ihn gewähren.
Vielleicht deshalb verlief der Abend ebenso angenehm wie der Tag, mit opulenten Speisen, fröhlicher Musik und zufriedenen, gut gelaunten Gästen. Noch als die Tafel längst aufgehoben war, hing der süße Duft von Zimt und gebackenen Äpfeln im Raum und vermengte sich mit dem würzigen Aroma von Wein und Most. Die Hunde, die auf der Suche nach Essensresten durch den Saal gestreift waren, hatten sich irgendwann in der Nähe der Feuerstelle, in der noch immer der dicke Julscheit glomm, zusammengerollt. Sie sahen satt, müde und zufrieden aus, genau wie Sir Wilfrid, der mit halb geschlossenen Augen und über dem Bauch gefalteten Händen in seinem Stuhl lehnte.
In der Mitte des Saales aber wurde wieder getanzt; Sir George de Gramercie versuchte, mit eigenwilligen Hüpfern und gewagten Sprüngen Eindruck auf Lady Alice und Lady Elizabeth zu machen, und befriedigt stellte Giselle fest, dass es diesmal nicht Sir Myles war, der im Mittelpunkt des Geschehens stand.
Er war, wie sie nach einem Blick über den Saal hinweg feststellte, heimlich verschwunden. Auch die Gaukler waren nicht mehr da, vermutlich waren sie gegangen, um sich für ihren Auftritt vorzubereiten.
Giselle unterdrückte ein Gähnen. Sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und alles getan, um ihn harmonisch zu gestalten und alle Anwesenden zufriedenzustellen. Auch die übrig gebliebenen Speisen hatte sie schon an die Armen verteilt, und nun war sie erschöpft und wäre am liebsten ins Bett gegangen.
Doch bevor sie sich dazu durchringen konnte, ertönte eine laute Fanfare, und Matthew betrat die Halle. Er trug eine braune, hermelinbesetzte Kutte mit einem schwarzen Gürtel, und sein Gesicht war fast vollständig unter einem dichten weißen Bart verschwunden.
Schlagartig wurde es still im Saal, und jemand raunte: „Da kommt Sankt Nikolaus!“
Neben dem Mann mit dem weißen Rauschebart erschien Peter, verkleidet als junges Mädchen und mit unverkennbaren Gebärden der
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