Historical Weihnachtsband 1990
als zuvor. Bis zu dem Kuß hatte sie nie geglaubt, daß Daniel sie begehrte. Nun wußte sie es sicher. Oder falls er sie gewollt hatte, vielleicht nur ein ganz klein wenig, mußte er sich von der leichtfertigen Art, mit der sie ihn umarmt und geküßt hatte, abgestoßen gefühlt haben.
Aber ihr Leben hatte sich nicht geändert. Sie arbeitete immer noch auf der Ranch, hatte immer noch ihren Sohn, hatte immer noch . . . nun, was sie zuvor auch gehabt hatte. Im Moment fiel es ihr zwar schwer, ihre Segnungen zu zählen, doch waren sie zweifellos vorhanden. Alles war unverändert. Sie selbst war dieselbe.
Doch das war schlichtweg gelogen. Melinda war nicht mehr die gleiche. Sie war verletzt, verwirrt und wütend. Und sie konnte das Gefühl von Daniels Lippen auf ihren und seine kraftvollen Arme um sich nicht vergessen . . . ebensowenig wie die heftigen Empfindungen, die er in ihr ausgelöst hatte.
Melinda mied Daniel MacKenzie während der folgenden Tage genauso sorgfältig wie er sie. Nur bei den Mahlzeiten trafen sie zusammen, und dann sahen sie sich weder an noch sprachen sie miteinander. Wenn eine Schüssel vor Daniel stand, wäre Melinda lieber verhungert, als daß sie ihn gebeten hätte, sie weiterzureichen.
Mit den anderen Männern redete sie wie immer, lachte über ihre Scherze und lauschte ihren Geschichten. Sie tat ihr Bestes, sich nicht anmerken zu lassen, wie getroffen sie war.
Leider konnte sie Daniel irgendwann nicht länger aus dem Weg gehen. Sie mußte ihn nach einem Christbaum und dem Weihnachtsschmuck fragen. Auch von ihren Schamgefühlen und ihrer Gekränktheit ließ sie sich nicht abhalten, für Lee ein richtiges Weihnachtsfest vorzubereiten. Sie mußte sich darauf gefaßt machen, mit Daniel MacKenzie zu sprechen, und das bald. Es waren nur noch zwei Wochen bis Weihnachten.
In Gegenwart anderer wäre es leichter, mit ihm zu reden. Wenigstens würde das nicht so wirken, als wollte sie einen Augenblick mit ihm allein zu erhaschen suchen.
Also nahm sie eines Tages nach dem Mittagessen ihren ganzen Mut zusammen und schaute ans andere Ende des Tisches. „Mr. MacKenzie."
Daniel ließ die Gabel klappernd in den Teller fallen und riß den Kopf hoch. Er war dankbar um seinen Bart, denn er fürchtete, daß er rot wurde. Melinda nach dreitägigem Schweigen seinen Namen aussprechen zu hören, hatte ihn erschreckt.
Noch
unangenehmer waren allerdings die Gefühle, die ihn daraufhin durchfuhren.
Er hungerte schmachvoll nach einem Wort oder Blick von ihr. Wenn sie ihm nur einen Funken Ermutigung gegeben hätte, dann wäre er wahrscheinlich vor ihr auf die Knie gesunken und hätte sie um ihre Liebe angefleht.
O verflixt! Ging das schon wieder los! Er preßte die Lippen zusammen, und Zorn auf sich selbst stieg in ihm auf. Dafür, daß er sie geküßt hatte, haßte er sich, genauso wie für seine Gefühle. Warum mußte er nur so ein Narr sein, was Frauen anging?
Es war verwerflich gewesen, Melinda in jener Nacht zu küssen. Und ihm war klar, wieviel weiter er gegangen wäre, wenn ihr Junge nicht in die Küche hereingestürmt wäre. Melinda Ballard war keine Frau von zweifelhafter Tugend. Er konnte sie nicht einfach in sein Bett holen, genießen und zur Seite werfen, wie er das mit den Frauen im Rotlichtviertel von Amarillo tat. An ihr durfte er sein heiß aufwallendes Verlangen nicht befriedigen, denn sie war eine Dame. Sie war eine Frau, die man lieben, ehren und heiraten mußte, wenn man sich an ihr erfreuen wollte. Und Daniel war gefährlich nahe daran, all diese Dinge zu tun.
Aber ihm war klar, wie überaus töricht es wäre, sich in Melinda zu verlieben. Nach dem Tod Millicents hatte er geschworen, nie wieder eine Frau zu lieben, nie wieder zu heiraten. Seine bittere Erfahrung hatte ihn gelehrt, was für ein Fehler die Liebe war. Hals über Kopf hatte er sich, von ihrer weiblichen Zartheit und Schönheit überwältigt, in Millicent verliebt. Er hatte sie geheiratet und stolz in das Heim gebracht, das er für sie gebaut hatte. Aber die Liebe hatte der Wirklichkeit nicht lange standhalten können.
Für die Ehe war Daniel nicht geschaffen. Er liebte dieses Land, Frauen haßten es.
Millicent hatte stundenlang geweint, nachdem er sie auf die Ranch geholt hatte, und hatte sich nie im Panhandle eingelebt. Verzweifelt hatte sie sich gewünscht fortzugehen, und nach ein paar Monaten war er bereit gewesen, sie nach Maryland zurückkehren zu lassen. Als er vor dem Scherbenhaufen seiner Hoffnungen und Träume
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