Historical Weihnachtsband 1992
Stück hoch. Hilflos baumelte er in der Luft.
Das tat ihm offenbar gar nicht gut. Sein ohnehin schon rotes Gesicht nahm einen erschreckend purpurnen Ton an. Die Laute, die aus seiner Kehle drangen, ließen auf arge Bedrängnis schließen.
„Guten Tag, Miss Neville", begrüßte Peter Lowell sie liebenswürdig. „Haben Sie einen besonderen Wunsch, wohin ich dieses ekelhafte Geschöpf befördern soll?"
Cornelia holte tief Luft und preßte die Hände an die Falten ihres Rockes, um ihr Zittern zu verbergen. „Dem Gentleman scheint es nicht gutzugehen. Vielleicht wäre es gut, wenn er einen Ortswechsel vornähme."
Peter nickte zustimmend. In der etwas dunkleren Halle sahen seine Haare blauschwarz aus. Sein Gesicht wirkte noch kantiger. In seiner Stimme schwang ein tadelnder Unterton mit, als er bemerkte: „Ich nehme doch nicht an, daß Sie allein hier sind."
„Selbstverständlich nicht", versicherte Cornelia kühl. Die Tatsache, daß er ihr zu Hilfe gekommen war, gab ihm noch lange nicht das Recht, über sie zu urteilen.
„Ich habe meine Brüder begleitet", fügte sie hinzu. „Sie sitzen drinnen am Tisch." Als ein Röcheln an ihr Ohr drang, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Mann zu, der sie belästigt hatte. Zwar stand er wieder, doch die Augen quollen ihm hervor, und er hatte Mühe zu atmen. „Ich denke, Sie sollten nicht so fest zupacken", sagte sie.
Peter merkte, daß sie recht hatte, und lockerte seinen Griff. Die Beine des Mannes gaben plötzlich unter ihm nach, er fiel auf den Boden und schnappte keuchend nach Luft. Gleich darauf blickte er ängstlich zu seinem Widersacher hoch. Der Ausdruck in dessen Augen ließ ihn auf allen Vieren zur Hintertür die Flucht ergreifen.
„Ich schulde Ihnen Dank", sagte Cornelia, nachdem der Mann aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
Peter lächelte. Die Situation hatte auch etwas Komisches. Der schreckliche Zorn, der ihn gepackt hatte, als er zufällig einen Blick in die Halle geworfen und gesehen hatte, daß Cornelia belästigt wurde, verrauchte. Er verspürte nicht mehr den Drang, ihretwegen handgreiflich zu werden. Was er sich jetzt wünschte, war, seine Neugier in bezug auf die hübsche, streitbare Miss Cornelia Neville zu befriedigen.
„Erlauben Sie mir, Sie zu begleiten", sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Cornelia hatte nichts dagegen. Würdevoll nahm sie Peters Arm. Die harten, kräftigen Muskeln, die sie durch den Ärmel seiner Jacke spürte, ließen ihr Herz schneller klopfen. Sekundenlang konnte sie sich des Gefühles nicht erwehren, daß sich hinter der Maske des zivilisierten Mannes ein viel ursprünglicherer, aber auch gefahrlicherer verbarg. Rasch verdrängte sie diesen Gedanken und ließ sich zum Tisch ihrer Brüder führen.
Die Zwillinge sprangen auf und blickten erstaunt drein, als sie ihre Schwester in Begleitung eines Fremden kommen sahen. „Ist auch alles in Ordnung, Cornelia?"
erkundigte sich Jed, der nicht sie, sondern den hochgewachsenen, eindrucksvollen Mann an ihrer Seite musterte.
„Ja", versicherte sie. „Darf ich euch Mr. Peter Lowell vorstellen. Er war mir bei einem kleinen Problem behilflich."
Sie empfand leichte Gewissensbisse, weil sie die Situation verharmloste, die in Wirklichkeit sehr unangenehm gewesen war. Ihren Retter schien das nicht zu stören.
Er schüttelte den beiden jungen Männern lächelnd die Hände. „Sie waren gestern abend auch auf Jonathans Party, nicht wahr?" bemerkte Peter. „Leider waren so viele Leute anwesend, daß ich nicht dazu kam, mit allen zu sprechen."
„Ja, wir waren auch dort, Mr. Lowell", bestätigte Jed, der sich Mühe gab, erwachsen zu wirken. Cornelia streifte ihn mit
einem schnellen Blick. Ihre normalerweise nicht so leicht zu beeindruckenden Brüder wirkten äußerst angetan. Es dauerte nicht lange, bis sie den Grund herausfand.
„Ich habe alle Ihre Artikel gelesen", erklärte Jed. Auf seinen Bruder deutend, setzte er hinzu: „Wir beide tun das regelmäßig. Besonders Ihre Berichte von der westlichen Grenze waren brillant geschrieben. Sie müssen dort außergewöhnliche Erfahrungen gemacht haben."
„Das ist nicht verwunderlich. Es ist ja auch eine außergewöhnliche Gegend", erwiderte Peter.
„Wir hoffen sehr, dies alles in absehbarer Zeit selbst zu sehen." Teds Bemerkung brachte ihm einen erschrockenen Blick seiner Schwester ein, die von derartigen Plänen nichts wußte. Sie nahm sich vor, sich danach zu erkundigen, sobald sie allein waren.
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