Historical Weihnachtsband 1992
konnte.
3. KAPITEL
Am nächsten Morgen wachte Cornelia mit schlechtem Gewissen auf. Sie wußte, daß sie sich am vergangenen Abend tadelnswert verhalten hatte. Natürlich hatte Mr.
Lowell es sich selbst zuzuschreiben, daß sie ihm die kalte Schulter gezeigt hatte. Das Dumme war nur, daß er nicht ahnte, wodurch er sich ihre Ungnade zugezogen hatte.
Was Jonathan betraf, so hatte er es nicht verdient, einen so unhöflichen Gast gehabt zu haben. Erschwerend kam noch dazu, daß sich das Ganze zur vorweihnachtlichen Zeit abspielte, in der sich die Menschen auf ihre Tugenden besinnen sollten.
Cornelia beschloß, Jonathan sofort ein paar entschuldigende Zeilen zu schreiben.
Das war das wenigste, was sie tun konnte.
Nachdem sie das erledigt, gebadet und sich angezogen hatte, ging sie nach unten.
Da es erst kurz nach acht Uhr war, fand sie das Frühstückszimmer noch leer vor. Ihre Brüder, die Schulferien hatten, nahmen die Gelegenheit wahr, lange im Bett zu bleiben, ebenso wie ihre Mutter, die viel Ruhe benötigte. Melanie Neville war außer Übung, was die anstrengenden gesellschaftlichen Verpflichtungen zur Weihnachtszeit betraf. Zum erstenmal seit dem Tod ihres Mannes vor einem Jahr, war sie wieder auf einem Empfang gewesen. Cornelia freute sich, daß ihre Mutter sich aus ihrer Isolation gelöst hatte, und hoffte, sie würde sich nicht verausgaben.
Draußen fiel Schnee. Nachdem Cornelia mit dem Frühstück fertig war, blieb sie bei einer Tasse Tee sitzen und las die
Morgenausgabe des Globe, den sie kürzlich abonniert hatte. Natürlich war der Familie das Journal erhalten geblieben. Cornelia konnte die Zeitung nicht einfach abbestellen, ohne unangenehme Fragen gestellt zu bekommen, die sie nicht beantworten wollte. Sie selbst vermied lediglich, das Journal zu lesen.
Zu ihrem Bedauern war der Globe nicht halb so interessant wie das Journal. Rasch hatte sie ihn durch, blickte danach aus dem Fenster und beobachtete, wie die weißen Flocken vorbeitrieben. Dabei überlegte sie, was sie mit dem Tag anfangen sollte.
Ihre Mutter würde später bei einigen Bekannten vorbeischauen, und sie konnte sie begleiten, doch dazu hatte sie keine Lust. Sie fühlte sich ungewohnt rastlos und außerstande, sich ihren täglichen Beschäftigungen zu widmen. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Jonathans Party und damit zu Peter Lowell zurück. Trotz aller Bemühungen vermochte sie sich nicht den hochgewachsenen Mann mit der athletischen Gestalt, den ausgeprägten Gesichtszügen und dem charmanten Lächeln aus dem Kopf zu schlagen.
„Verdammt", fluchte Cornelia leise, was ungewöhnlich für sie war, doch unter den gegebenen Umständen schien es ihr die passende Reaktion zu sein. Sie konnte sich des Gefühles nicht erwehren, daß sie sich wie eine von Luciana Montrachets Heldinnen aufführte. Jetzt fehlte nur noch, daß sie sich wünschte, ihn wiederzusehen, oder gar versuchte, eine andere Gelegenheit herbeizuführen, um die Bekanntschaft mit ihm zu vertiefen.
Ihr war klar, daß sie eine Beschäftigung brauchte, die sie ablenkte. Eine körperlich anstrengende Arbeit, das war jetzt das richtige. Sie würde Sophia beim Silberputzen helfen oder den Dachboden aufräumen.
Leider war das Silber schon geputzt, und auf dem Dachboden sah es so wenig einladend aus, daß sie keine Lust verspürte, dort herumzukramen. Deshalb kletterte sie die Wendeltreppe wieder hinunter und klopfte sich den Staub vom Rock.
In diesem Moment kam ihr Bruder aus seinem Zimmer. Ted rieb sich die Augen und grinste verschlafen. „Ist das Frühstück schon fertig?" fragte er.
„Natürlich ist das Frühstück schon fertig, du Schlingel", erwiderte sie schmunzelnd.
„Es ist beinahe neun Uhr, und wenn du noch ein bißchen wartest, bekommst du den Lunch serviert."
„Bis dahin ist es ja noch eine Ewigkeit", rief Ted. Er fuhr sich durch das wirre Haar, grinste erneut und lief die Treppe hinunter.
Gleichzeitig ging die Tür neben der seinen auf, und sein Zwillingsbruder erschien.
Jed, zehn Minuten älter als Ted, versäumte es selten, seinen Bruder daran zu erinnern. Beide hatten blondes Haar, blaue Augen und das gleiche gewinnende Lächeln. Mit siebzehn waren sie keine Jungen mehr, aber auch noch keine Männer.
Die Zwillinge wurden geboren, nachdem die Nevilles zehn Jahre verheiratet gewesen waren und fast die Hoffnung aufgegeben hatten, außer ihrer geliebten Tochter weitere Kinder zu bekommen. Als dann sogar zwei Kinder, noch dazu Jungen, das Licht der
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