Historical Weihnachtsband 1992
eindrucksvollen Marmorpaläste der Astors, Vanderbilts und Stewarts, deren zur Schau gestellter Reichtum zur Folge hatte, daß sich die Stadt nach Norden über die bisherige Grenze hinaus ausbreitete.
Verstreut liegende Gruppen von Sandsteinhäusern unterschiedlicher Baustile waren umgeben von freiem, unbebautem Land. Cornelia nahm an, daß es irgendwann keine Lücken mehr geben würde. Die unebenen, schmutzigen Straßen würden gepflastert und die Häuser bewohnt sein.
Im Gegensatz zu der hektischen Betriebsamkeit der Innenstadt bildete der Central Park eine friedliche Oase. Auf dem Teich, nahe dem südlichen Eingang, glitten viele Schlittschuhläufer über das Eis.
Ted spornte die Pferde an. Bald hatten sie die Häuser und unbebauten Grundstücke hinter sich gelassen. Jetzt sahen sie nur noch einige Hütten von Siedlern, gelegentlich ein altes Farmhaus und baufällige Scheunen, von denen einige noch benutzt wurden.
Am oberen Ende des Parkes, gleich zu Beginn der Harlem Lane, hielten sie vor Toppy McGuire's Clubhaus an. Das niedrige Gebäude, mit Schindeldach bedeckt, war sogar um diese Jahreszeit gut besucht. Sie mußten ein paar Minuten in einer Schlange stehen, ehe Ted die Pferde an Pfosten vor dem Restaurant anbinden konnte.
Drinnen war es angenehm warm, und es herrschte eine fröhliche Stimmung. Ein Holzklotz verglühte in dem riesigen Kamin. Der Geruch von Tannenzweigen mischte sich mit dem würzigen Duft des Cidres, der in großen Kesseln auf einem bauchigen Ofen vor sich hinkochte. Toppy McGuire's war ein ungewöhnliches Clubhaus.
Ursprünglich hatte man nur Männer zugelassen, seit einiger Zeit auch Frauen.
Cornelia konnte sich den Grund denken. Ohne die Anwesenheit von Mitgliedern des schwachen Geschlechts hätten sich die Herren der Schöpfung vor niemandem produzieren können, und das wäre doch sehr unbefriedigend gewesen.
Nachdem ihre Brüder und sie sich die Hände am Feuer gewärmt hatten, wurden sie zu einem Tisch am Fenster geführt. Cornelia fiel ein, daß sie den Waschraum für Damen aufsuchen wollte. Sie entschuldigte sich und überließ es ihren Brüdern, den Lunch zu bestellen, bestehend aus geräucherter Ente, Wurst, gebratenen Kartoffeln, Apfelkuchen und natürlich dem zu Recht berühmten Cidre. Und das alles, nachdem die jungen Männer vor knapp zwei Stunden ein kräftiges Frühstück zu sich genommen hatten.
Als Cornelia zu ihrem Tisch zurückgehen wollte, kreuzte sich ihr Weg mit dem eines korpulenten, rotgesichtigen Gentleman, der offenbar zuviel getrunken hatte. Im Gegensatz zu anderen Damen aus ihrem Bekanntenkreis vertrat sie nicht die Meinung, daß Trunksucht nur ein Problem der unteren Klassen sei. Die Begegnung überraschte sie daher nicht sonderlich. Sie nahm an, daß er weitergehen würde, so gut er es vermochte, und sie passieren ließe. Leider hatte sie sich geirrt.
Statt dessen blieb er unvermittelt stehen, blickte sie unziemlich lange an und grinste.
„Was ist denn das?" erkundigte er sich laut. „Ein niedliches kleines Vögelchen.
Komm ein wenig näher, mein Liebchen."
Cornelia ignorierte ihn und versuchte, an ihm vorbeizukommen. Es war zu eng und der Gentleman, falls das die passende Bezeichnung für ihn war, äußerst beharrlich.
Er trat ihr in den Weg und musterte sie abschätzend von Kopf bis Fuß.
„Ein hübschen Vögelchen", stellte er fest und lächelte unangenehm.
Cornelia errötete bis unter die Haarwurzeln. Das ging nun wirklich zu weit.
Undenkbar, daß ein Mann eine ihm fremde Frau, noch dazu eine der Gesellschaft, auf diese Weise anredete. Ehrenmänner vermieden in der Öffentlichkeit sogar den Blickkontakt mit Frauen, die ihnen nicht vorgestellt worden waren, und anständige Damen hielten es nicht anders. Daß man ihr den Weg versperrte, sie derart unschicklich ansprach und zweifelhafte Komplimente machte, war mehr, als sie tolerieren konnte.
„Treten Sie zur Seite, Sir", befahl sie, wobei sie ihrer Stimme einen möglichst festen Klang gab. Im allgemeinen war sie nicht so leicht einzuschüchtern, doch mit solchen Situationen hatte sie keine Erfahrungen.
Der Betrunkene beabsichtigte offenbar nicht, sie in Ruhe zu lassen. Im Gegenteil, ihre mißliche Lage schien ganz nach
seinem Geschmack zu sein.
„Du bist ein hochnäsiges, kleines Ding. Jemand sollte dich bessere Manieren lehren.
Dazu bin ich genau der richtige Mann", fügte er in lüsternem Ton hinzu.
Mehr konnte er nicht sagen. Im nächsten Moment packte ihn jemand und hob ihn ein
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