Historical Weihnachtsband 1992
erregte. Ihr Gesicht war schön, ohne künstlich zu wirken, ihre Fröhlichkeit spontan und unverfälscht. Ihre nackten Schultern und der sichtbare Brustansatz sahen gegen den Hintergrund der purpurnen Brokattapete milchig zart aus. Sie hatte kastanienbraune Locken, die ihr über die Schultern fielen, eine schlanke Taille und sanft geschwungene Hüften.
Peter war plötzlich zumute, als befände er sich auf einer sonnenbeschienenen, mit Blumen übersäten Wiese. Ein süßer, verführerischer Duft stieg ihm in die Nase.
Er glaubte plötzlich, in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, weit entfernt von seiner Alltagswelt zu sein. Um das Phantasiebild zu verscheuchen, schüttelte er leicht den Kopf. Jetzt bemerkte Peter, daß er das edle Champagnerglas fest umklammerte. Da er befürchtete, es zu zerbrechen, stellte er es vorsichtig auf einen Tisch. Daraufhin wandte er sich an Jonathan.
„Wer ist sie?"
Jonathan hatte die Frage erwartet. Als klugem und erfahrenem Mann war ihm nicht entgangen, daß sein junger Freund etwas erlebt hatte, was die Franzosen coup de foudre nennen.
Nachdem Peter die junge Frau gesehen hatte, erweckte er den Eindruck, als ob ihn ein Blitzschlag getroffen hätte.
Während der vergangenen Tage hatte sich Jonathan wiederholt gefragt, was wohl geschehen würde, wenn sich die Wege seiner beiden Freunde kreuzten, von denen einer den anderen sehr gekränkt hatte. Er hatte sich einzureden versucht, daß es keinen Grund zur Beunruhigung gäbe, da es sich um zwei zivilisierte Menschen handelte, die sich unter allen Umständen korrekt benehmen würden. Trotzdem war er besorgt gewesen. Und jetzt passierte dies.
Cornelia sah an diesem Abend ganz bezaubernd aus. Gewiß war sie sonst auch hübsch, doch heute überstrahlte sie mit ihrer Schönheit alle anwesenden Geschlechtsgenossinnen. Kein Wunder, daß sich Peter ihrer Anziehungskraft nicht entziehen konnte.
Jonathan wappnete sich im Geist gegen das, was auf ihn zukam. „Sie heißt Cornelia Neville", erklärte er. „Ihr Vater, der Bankier William Neville, ist vor einigen Jahren gestorben. Cornelia wohnt mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Brüdern in ihrem Haus am Gramercy Park. Ich rechne es mir zur Ehre an, daß mich die Familie als guten Freund betrachtet."
Peter, der den Blick nicht von der reizenden Miss Neville losreißen konnte, nickte.
Jonathan hatte ihm in wenigen Sätzen alles Wissenswerte mitgeteilt. Die junge Dame nahm eine Stellung in der Gesellschaft ein, verfügte über einen guten Ruf und lebte in geordneten, wenn auch nicht unbedingt hervorragenden Verhältnissen. Mit anderen Worten handelte es sich um eine Person, die Jonathans Wertschätzung genoß und die er nicht leichtfertig behandelt wissen wollte.
„Würden Sie sie gern kennenlernen?" erkundigte sich der Verleger, der bemerkte, daß das Interesse seines Freundes keineswegs schwächer wurde.
Peter zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Seit er ein erwachsener Mann war, hatte er einige Energie darauf verwenden müssen, den Schlingen charmanter junger Damen auszuweichen, die zu seiner gesellschaftlichen Klasse gehörten.
Normalerweise pflegte er sich nicht um junge Frauen zu bemühen. Angesichts von Miss Nevilles strahlenden blauen Augen und ihrem melodischen Lachen hielt er es allerdings selbst für möglich, daß er diesmal alle guten Vorsätze in den Wind schlug.
„Ja", erwiderte Peter kurz entschlossen.
Jonathan Withers unterdrückte einen Seufzer. Er hatte plötzlich das Gefühl, sich in eine Löwengrube begeben zu müssen. „Wie Sie wünschen", meinte er und ging, gefolgt von Peter, zu Cornelia. Sie sah ihn kommen und lächelte ihm zu. Ihre Aufmerksamkeit galt allerdings eher dem Mann in seiner Begleitung.
„Hallo, Jonathan", sagte sie. „Es ist eine wundervolle Party."
„Vielen Dank, meine Liebe. Ich freue mich, daß Sie sich amüsieren. Hoffentlich bleibt das auch so."
Verwirrt blickte Cornelia drein. Das war eine seltsame Bemerkung, die fast so klang, als ob Jonathan befürchtete, ihre Stimmung könnten sich ändern. Noch seltsamer war, daß er sichtlich zögerte, den Mann neben ihm vorzustellen. Normalerweise hätte sie das nicht gestört, da sie keinen großen Wert auf Etikette legte. Doch in diesem Fall hätte sie gern gewußt, wer dieser Fremde war, der ihre Aufmerksamkeit so ungewöhnlich stark auf sich zog.
„Hallo, Lowell, freut mich, Sie zu sehen. Ich dachte, Sie wären noch irgendwo im Wilden Westen. Wann sind Sie
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