Historical Weihnachtsband 2010
dass es ihm die Kehle zuschnürte.
„Ich danke dir, Richard“, sagte William mit heiserer Stimme. Er löste sich aus der brüderlichen Umarmung und versuchte ein Lächeln. Doch es wirkte gezwungen. „Aber ich muss gehen.“
Richard räusperte sich. „Wir brauchen dich hier.“
Nein, das taten sie nicht. Nach dreißig Ehejahren gingen seine Eltern immer noch völlig ineinander und in ihrer Arbeit auf. Gareth Sommervilles Beschäftigung war es, Streitrösser zu züchten, während Lady Ariannas ungewöhnliche Lieblingsbeschäftigung die Goldschmiedekunst war, die sie ganz in Anspruch nahm. Richards Tage und Nächte waren von Mary und seinen Söhnen ausgefüllt.
William besaß nichts außer seinen Handelsgeschäften. Er arbeitete wie ein Besessener. Er suchte in fremden Häfen nach neuen Waren, mit denen er seine Kunden locken konnte, und überwachte dann den Schiffstransport nach England. Sein Arbeitspensum füllte jede seiner wachen Stunden aus und sandte ihn erschöpft zu Bett. Trotzdem fand er keinen Frieden. Im Schlaf, wenn er sich denn endlich einstellte, verfolgten ihn Träume. Träume, die von dem handelten, was hätte sein können.
„Ich werde oft schreiben und euch jedes Jahr besuchen“, versuchte William seinen Bruder zu beschwichtigten.
Aber nie während der verfluchten Weihnachtstage.
„Davonzulaufen sieht dir eigentlich nicht ähnlich“, meinte Richard argwöhnisch.
„Ich tue, was ich tun muss. “ Sonst werde ich noch verrückt.
„Ella würde es nicht wollen. Sie wollte …“
„Sag jetzt nicht, sie würde wollen, dass ich heirate“, knurrte William.
„So grausam bin ich nicht.“ Aber Richards Gesicht verriet, dass er es gedacht hatte. Jeder dachte so.
„Ich habe kein Interesse daran, eine andere Frau zu finden.“ Aber vor Williams innerem Auge tauchte das lebhafte Bild eines schönen, schmutzigen Gesichts mit stolzen, hellbraunen Augen auf. Das Gesicht der Gewürzdiebin.
Eine Woche hatten seine Männer gesucht und trotzdem keine Spur von ihr gefunden. In der Hoffnung, die Männer des Sheriffs könnten George Treacles Rechnungsbuch übersehen haben, war William selbst in den Laden des Händlers gegangen. Doch die Diebe, die ihn ermordeten, hatten es mitgenommen. So hatte William keine Möglichkeit herauszufinden, ob seine Diebin eine Kundin des alten Händlers war.
Ach was! Sie war eine Diebin und damit Schluss. Sie brachte es nur einfach besser fertig als die meisten, rührend zerbrechlich und aufrichtig auszusehen. Viel besser. Obwohl er sie beschimpft und sich abfällig über ihren Charakter geäußert hatte, wollte ein Teil von ihm gerne glauben, dass sie die Wahrheit sagte, dass sie keine Mörderin war, sondern eine Kaufmännin, die verzweifelt nach ihrer Ware verlangte.
Nach welcher Ware? George hatte ihm den Auftrag erteilt, dreißig verschiedene Kräuter und Gewürze für ihn einzukaufen. Manche davon waren selten … Myrrhe und Parietaria … was immer das sein mochte; andere, wie die Wurzel der Alraune, waren zwar teuer, aber weniger exotisch. Welche Gewürze brauchte diese Kindfrau so verzweifelt, dass sie den Gefahren trotzte, die nach Einbruch der Dunkelheit in den Londoner Docks lauerten? Dass sie, um sie zu erhalten, die glitschige Regentraufe hinaufkletterte und sich seinem Zorn stellte? Wenn er das wüsste, besäße er vielleicht einen Schlüssel. Zum Beispiel könnte er dann herausfinden, was für eine Art von Laden sie besaß.
Wenn sie denn einen besaß.
Gedankenverloren rieb William sich die Stelle, an der ihr Messer sein Kettenhemd durchbohrt und seine Spur hinterlassen hatte. Es war nur ein kleiner Stich, nicht mehr. Er setzte ihm weniger zu als die Erinnerung daran, wie er sie in den Armen gehalten hatte. Auch wenn es nur ein kurzer Augenblick gewesen war, konnte er das seltsame, berauschende Gefühl nicht vergessen, das ihn dabei erfüllt hatte.
Sicher war es nur der Triumph gewesen, eine Diebin gefasst zu haben. Ja, das musste der Grund gewesen sein, warum er so empfunden hatte. Die geheimnisvolle Frau faszinierte ihn derart, dass er in der vergangenen Nacht tatsächlich von ihr anstatt von Ella geträumt hatte. Mit hämmerndem Puls und brennender Lunge hatte er die Diebin durch dunkle, verwinkelte Gassen verfolgt. Stärker und schneller als sie hatte er sie schließlich erwischt. Aber als er in ihr erschrecktes Gesicht blickte, war die Wut verschwunden, die ihn angetrieben hatte.
„Helft mir“, hatte sie geflüstert.
„Sag es mir jetzt. Was
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