Historical Weihnachtsband 2010
Speisenaufträgerin. „Entspanne dich und genieße. Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr sind die einzige Unterbrechung, die wir in unserer Arbeit haben.“
Rosemary nickte abwesend.
„Alle sind sie gekommen“, flüsterte Muriel. „Der Bürgermeister, die Stadträte und die Edlen von König Richards Hof. Mein Herbert sagt, wenn der König nicht gerade zur Jagd in Kent wäre, wäre er auch gekommen.“ Ihre blauen Augen tanzten hierhin und dorthin, und ihr rundes Gesicht glühte vor Aufregung.
Rosemary musste gegen ihren Willen lächeln. „Ja, es gibt nichts, was sich mit dem großen Weihnachtsbankett im Londoner Rathaus vergleichen ließe.“
„Wie hübsch all das Grün aussieht.“ Muriel deutete auf die Tannen- und Stechpalmenzweige, die zwei Stockwerke über ihnen von den Holzbalken der Decke herabhingen. Es war unmöglich, in Muriels Gesellschaft bedrückter Stimmung zu sein. Als Tochter eines wohlhabenden Tuchhändlers hatte sie in den Adel eingeheiratet – zwar nur den dritten Sohn eines Barons wohlgemerkt, aber immerhin von Adel. Ihr Herbert war ein niederer Repräsentant bei Hofe, schon älter und ziemlich aufgeblasen, aber ein Ehemann, der in sie vernarrt war.
Ein unangenehmer Ausschlag hatte Muriel vor einem Jahr zur Bainbridge Apotheke geführt. Der Ausschlag war von Rosemarys Kamillesalbe vertrieben worden, und zwischen den beiden Frauen war eine Freundschaft entstanden. Jetzt war die liebe Muriel eifrig bemüht, Rosemary so viele adelige Stammkunden wie möglich zu beschaffen. Ohne diese Kunden hätte die Apotheke vielleicht schon vor Monaten schließen müssen.
Dass sie immer noch in Gefahr waren, die Apotheke zu verlieren, dämpfte Rosemarys Heiterkeit ein wenig. „Alles sieht reizend aus. Und ich bin froh, dass du mich überredet hast zu kommen. Aber jetzt sollte ich zu Onkel Percy zurückgehen.“
„Bah! Der hat doch die Nase so tief in seine verschimmelten Schreibrollen gesteckt, dass er dich noch stundenlang nicht vermissen wird. Außerdem möchte ich, dass du jemanden kennenlernst. Eine neue Kundin.“ Muriel stellte sich auf die Zehenspitzen. „Noch sehe ich sie nicht. Aber wir werden uns auf die Suche nach ihr machen.“ Sie hakte sich bei Rosemary unter und kämpfte sich durch den überfüllten Raum.
Rosemary folgte ihr notgedrungen. Auch wenn ihr die lärmende Menschenmenge auf die Nerven ging, so konnte sie es sich nicht leisten, auf eine neue Kundin zu verzichten. Eine Woche war jetzt schon vergangen, und sie war immer noch nicht an ihre Myrrhe herangekommen. Eine Woche, in der sie zusehen musste, wie die Pennys in ihre Kasse tröpfelten und genauso schnell wieder für Essen und Trinken daraus verschwanden.
Dieses Jahr würde es im Bainbridge House keine Festlichkeiten geben. Kein besonderes Fest in der Dreikönigsnacht, das von einer Flasche Rotwein gekrönt sein würde. Und am Dreikönigstag würden keine kleinen Geschenke mit Onkel Percy, Malcolm und Winnie, die seit ewigen Zeiten ihre Haushälterin war, ausgetauscht werden. Wenn im Februar die Miete für die Apotheke fällig wurde, würden sie jedes bisschen Geld benötigen, das sie zusammenkratzen konnten.
Mit gesenktem Kopf stolperte Rosemary Muriel hinterher und lief so direkt in eine unglückliche Seele. „Pardon“, murmelte sie, als sie gegen eine fleischige, in karminroten Samt gehüllte Brust prallte. Der Zusammenstoß trennte sie von Muriel. Unwillkürlich blickte Rosemary auf. „Ich habe nicht gesehen …“ Der Rest der Entschuldigung blieb ihr im Halse stecken, als sie das dunkelhäutige Gesicht erkannte, das böse auf sie hinunterblickte.
Es war Baldassare di Corrado, der italienische Conte, dessen Tränke und Elixiere bei Hof groß in Mode waren. „Ihr bewegt Euch ziemlich unvorsichtig“, zischte er sie mit seinem starken italienischen Akzent auf Englisch an.
„Aye. Es tut mir leid. Ich war …“
„Unachtsam.“ Seine vollen Lippen verzogen sich unter dem herabhängenden, schwarzen Schnurrbart, der genauso glatt und glänzend war wie das Haar, das sein falkenähnliches Gesicht umrahmte. Die glitzernden, gelben Augen musterten sie von Kopf bis Fuß. „Aber weil Ihr jung und schön seid, will ich Euch verzeihen.“
Rosemary erschauerte unter seinem eindringlichen Blick. Etwas in dessen verborgenen Tiefen jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken, und ihr dröhnte der Puls in den Ohren. Lauf fort! Fliehe! Die Worte schossen ihr durch den Kopf. Aber sie war zu keiner Bewegung fähig, noch
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