Historical Weihnachtsband 2010
„Wo ist der Rest deiner Mörderbande?“, zischte eine kalte Stimme ihr ins Ohr.
Die Worte vermochten kaum ihr Entsetzen zu durchdringen. „La… lasst mich los!“ Rosemary trat um sich. Mit dem rechten Fuß traf sie das Bein ihres Gegners und erntete dafür eine Welle des Schmerzes in ihrem eigenen.
„Zum Teufel!“ Der Arm des Mannes schloss sich noch fester um ihre Rippen und presste ihr die Luft aus den Lungen. „Halt still. Sag mir, wo sie sind!“
Sie? Vor Rosemarys Augen tanzten schwarze Punkte, und ihre Lungen brannten vor Verlangen nach Luft. Sie wurde nur noch von einem einzigen Gedanken beherrscht: Wie konnte sie sich von dem Kerl befreien? Mit letzter Kraft richtete sie das Messer gegen den Arm, der sie umfasst hielt.
Die Klinge glitt an der Oberfläche seines Kettenhemdärmels ab, rutschte dann zwischen zwei Kettenglieder und traf. Ihr Häscher fluchte laut in irgendeiner fremden Sprache. Für den Bruchteil eines Augenblicks lockerte sich sein Griff.
Rosemary, die daran gewöhnt war, jede Gelegenheit zu ergreifen, die sich ihr im Leben bot, entwand sich seinem Griff. Das Messer immer noch umklammert stolperte sie auf den dunklen Gang zwischen den Truhen und Tonnen zu.
„Miststück!“, schrie der Mann. Sie hörte seine Schritte hinter sich. Viel zu nahe. Noch ein Schritt, und er würde sie erneut packen.
Rosemary fuhr herum und hielt abwehrend das Messer hoch. Ihr Atem ging stoßweise, und sie war der Panik gefährlich nahe. „Bleibt zurück! Ich zögere nicht, das hier zu benutzen, wenn ich muss.“
Der Mann blieb stehen. Sein Atem ging ebenso schnell wie der ihre. Er war viel größer als sie. Im flackernden Kerzenlicht war sein Gesicht eine wütende Maske. Rosemary hatte den flüchtigen Eindruck strenger Gesichtszüge, die von schulterlangen, sonnengebleichten Haaren eingerahmt wurden. Es waren seine Augen, die ihre Aufmerksamkeit weckten. Sie waren so dunkel, dass sie fast schwarz erschienen, und sie glühten vor Zorn. Sein Blick wanderte zu ihrem Messer. „Hast du das bei George Treacle benutzt?“
„Nein, natürlich nicht“, zischte sie. „Er war mein Freund.“
„Das sagst du.“ Regungslos stand er da, doch der muskulöse Körper bebte förmlich vor Spannung. Er ähnelte einer sprungbereiten Katze.
Rosemary schloss die verschwitzte Hand fester um den Griff des Messers. „George liefert … lieferte mir Kräuter und ähnliche Sachen für meinen Laden.“
„Deinen Laden?“, schnaubte er. Die harten Augen wanderten verächtlich über ihre verschmutzte Gestalt. „Du bist keine Händlerin. Hat dich dein niederträchtiger Anführer hierher geschickt, weil er glaubt, eine Frau bestrafe ich nicht, wenn ich sie in meinem Lagerhaus beim Stehlen erwische?“
Seine Schroffheit verletzte Rosemary. Kerzengerade richtete sie sich auf und erwiderte: „Ich bin auch keine Diebin. Ich kam, um zu holen, was rechtmäßig mir gehört.“
Wieder ließ er ein Schnauben hören. „Du brichst hier ein und sprichst von Rechtmäßigkeit?“
Wütend erwiderte Rosemary seinen Blick. Ihr Temperament, das sie nie zu zügeln gelernt hatte, brachte seine Verachtung zum Kochen. „Ich war gezwungen , einzubrechen, weil diese dummen, eingebildeten Männer, die Euer Herr hier beschäftigt, keine Vernunft annehmen wollten.“
„Mein Herr?“ Er hob erstaunt die Brauen.
„Aye, dieser Lord William, den George anheuerte, um unsere Gewürze zu importieren. Ich will ja nicht schlecht von meinem toten Freund sprechen, aber ich glaube, George zeigte wenig Urteilsvermögen, als er die Dienste eines so niederträchtigen Menschen in Anspruch nahm.“
„Niederträchtig?“ Er machte große Augen, sodass die feinen Falten, die sie umgaben, sich weiß von der bronzefarbenen Haut abhoben.
„Ja, niederträchtig“, bekräftigte Rosemary. Sie entschied, dass der Wächter alles in allem gar nicht so schlecht aussah, wenn er die Stirn einmal nicht furchte und sie nicht anknurrte. „Das muss er ja wohl sein, wenn er solch grausame und herzlose Bedienstete beschäftigt.“
„Grausam?“ Er runzelte die blonden Brauen, während er ihre Worte bedachte. „Also ich finde, dass ich mich mehr als freundlich benehme, wenn man bedenkt, dass du hier eingebrochen …“
„Dazu wäre ich nicht gezwungen gewesen, wäre Master Jasper heute Morgen meinem Ansuchen nachgekommen und hätte mir meine Fracht ausgehändigt. Aber nein, er schob mich auf die Straße, bevor ich ihm auch nur zur Hälfte alles erklären konnte.“
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