Hitlers Berlin
Forderungen rundweg abzulehnen. Millionen Deutsche wären mit uns gegangen.« Noch beklagte Hitler den vermeintlichen »Kampf Berlins gegen Bayern«, aber in manchen seiner folgenden Reden klang bereits die Idee an, den Spieß umzudrehen. Beim »Deutschen Tag« in Coburg am 14. Oktober 1922 verwendete er erstmals ein Bild, das er bald öfter benennen sollte: »Unser Symbol [das Hakenkreuz] ist kein Vereinszeichen, sondern ein Siegesbanner. Es muß und wird einmal ebenso über dem Berliner Schloß wie über der Bauernhütte flattern.« 19
15 Tage später ernannte König Viktor Emmanuel den Führer der Faschisten, Benito Mussolini, zum Ministerpräsidenten Italiens. Vorangegangen war am 28. Oktober 1922 eine Demonstration, die bald als »Marsch auf Rom« verklärt wurde. In Wirklichkeit waren zwar rund
20 000 müde, hungrige und schlecht ausgerüstete »Schwarzhemden« aus allen Himmelsrichtungen auf Rom zu marschiert, hatten aber weit vor der Stadtgrenze gestoppt – sie wussten, dass Rom von gut ausgerüsteten, regierungstreuen Truppen besetzt war, gegen die sie keine Chance gehabt hätten. Dennoch genügte diese – bei Lichte betrachtet – Demonstration bescheidener Macht, erstmals einer rechtspopulistischen Partei die Regierung in einem europäischen Land zu übertragen. Hitler, von seinem damaligen Chefpropagandisten Hermann Esser flugs zum »deutschen Mussolini« ausgerufen, hatte sein Vorbild: Nichts weniger als ein »Marsch auf Berlin« war jetzt das erklärte Ziel der NSDAP. Ihr Führer wurde nun sogar jenseits des Atlantiks wahrgenommen; die New York Times vermerkte den »Aufstieg eines neuen Volksidols in Bayern«. 20
Hitler redete sich in den kommenden Monaten immer mehr in Fahrt; Mussolinis Vorbild nachzueifern, wurde zu einer fixen Idee. Am 5.September 1923 zum Beispiel betonte er: »Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder marschiert Berlin und endet in München, oder München marschiert und endet in Berlin!« Drei Wochen später erklärte er gegenüber einem Vertreter der US-Nachrichtenagentur United Press: »Wenn München im gegebenen Augenblick nicht auf Berlin marschiert, wird Berlin auf München marschieren.« Diese Drohung wurde ernst genommen; nicht nur in München, sondern ebenso in Berlin. Auch die Wa shington Post berichtete nun über den »bayerischen Nationalisten-Führer Adolph Hittler«. Die zunehmende Aktivität aller möglichen reaktionären und patriotischen Gruppen in Bayern einschließlich der Krisenregierung unter Generalstaatskommissar Gustav von Kahr nährte Putschgerüchte. Was Kahr wirklich beabsichtigte, ist unbekannt: Hat er tatsächlich den Berliner Reichswehr-Chef Hans von Seeckt zum Putsch gegen die Regierung Stresemann bringen wollen? Oder wollte er Hitler zu einem Fehler verleiten, um dessen Bewegung indirekt zu zerschlagen? Auf jeden Fall gab es Ende Oktober und Anfang November 1923 Zusammenkünfte Kahrs mit völkischen Aktivisten in München und Gespräche mit von Seeckt in Berlin. Fest steht, dass die NSDAP als radikalste aller Berlinfeindlichen Kräfte in jenem Herbst der galoppierenden Inflation und politischen Destabilität immer tiefer in eine Sackgasse geriet, aus der es keinen Ausweg außer eben einem Putsch mehr gab. Hitler heizte dieses Verschwinden jeder Alternative noch an: Am 7. Oktober forderte der NSDAP-Chef auf einem »Deutschen Tag« der »patriotischen Verbände« in Bamberg, den »Marsch nach Berlin anzutreten«. Eine Woche später rief er seinen Anhängern zu, Bayern müsse »den Kampf gegen Berlin beginnen«, denn, so am 30.Oktober, »Bayern wird in Berlin verteidigt«. Immer wieder forderte er in seinen Brandreden jener Wochen, dass die »schwarz-weiß-rote Hakenkreuzflagge« über wichtigen Berliner Gebäuden flattern müsse; meist sprach er vom Schloss, mindestens einmal jedoch auch vom Reichstagsgebäude. Am 4. November marschierten SA, Reichswehr und bayerische Landespolizei zum Totensonntag einträchtig nebeneinander auf. Die Parade war als Machtdemonstration und als Beweis der Einigkeit gedacht – und wurde auch so verstanden; allerdings zu Unrecht. 21
Dachte Hitler tatsächlich daran, auf die Hauptstadt zu marschieren, wie Mussolini seine »Schwarzhemden« immerhin aufgerufen hatte, massenhaft in Rom einzufallen? Oder benutzte er das Schlagwort vom »Marsch auf Berlin« eher metaphorisch? Hitlers Äußerungen während des Münchner Putsches sowie später im Putsch-Prozess und in privaten Briefen sind widersprüchlich. Am Abend des
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