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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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Maßnahmen nicht aufhören« und forderte: »Die Straße soll den friedfertigen Bürgern gehören, nicht irgendwelchen Demonstranten.« Die gewiss nicht kommunistenfreundliche Vo ssische Zeitung stellte klar: »Die Nationalsozialisten haben angefangen« und kommentierte: »Die Vorgänge vom Sonntag zeigen wieder einmal, daß die Hakenkreuzler ungestraft Berlin zum Tummelplatz ihrer Gewalttaten machen dürfen.« Einen Tag später rückte das bürgerlich-liberale Blatt diese Wertung etwas zurecht und lobte, dass Polizeipräsident Karl Zörgiebel nicht gewillt sei, die »Übergriffe wildgewordener Hakenkreuz-Horden« zu dulden. Zörgiebel hatte mehrere Durchsuchungsaktionen angeordnet. Doch die Berliner Polizei durchschaute Goebbels’ Eskalationsstrategie noch immer nicht; Preußens SPD-Innenminister Albert Grzesinski drohte lediglich mit einer Auflösung der NSDAP, falls es noch einmal zu Gewalttätigkeiten der SA käme. 15 Die erste offizielle Hitler-Rede vor seinen Berliner Anhängern (die Ansprache am 13. März 1925 war eine kleine und interne Veranstaltung gewesen) im Konzerthaus Clou in der Mauerstraße 82 in Mitte am 1. Mai1927 verlief, abgesehen von einigen Rangeleien, friedlich und gab zu weitergehenden Maßnahmen keinen Anlass. Lediglich der nationalkonservative Ber liner Lokal-Anzeiger vermerkte spitz: »Zweifellos hat die primitive Lehre des Führers der Nationalsozialisten die eine oder andere Theorie, deren Verwirklichung unserem Volk die Lasten seiner jüngsten Geschichte erleichtern würde. (…) Freilich, kämpfen ist physisch leichter als arbeiten.«
    Schon drei Tage später aber verprügelten SA-Männer bei einer Goebbels-Rede im Kriegervereinshaus in der Chausseestraße in Mitte erst den Berichterstatter des Lo kal-Anzeiger, dann den evangelischen Pfarrer Fritz Stucke. Er hatte im Saal dem Gauleiter auf dessen übliche verbale Brandstiftereien hin zugerufen: »Ja, ja, Sie sind der richtige germanische Jüngling!«, was Goebbels tatsächlich einen Moment lang sprachlos machte – übrigens verschwieg er den Inhalt des Zwischenrufes bei seiner späteren verklärenden Darstellung des Vorfalls im Buch Ka mpf um Berlin. Seine Gefolgsleute warfen Stucke schwer verletzt aus dem Saal. Daraufhin löste die Polizei die Veranstaltung auf und fand bei der anschließenden Durchsuchung der SA-Männer insgesamt 36 Waffen, Revolver, eine Pistole, Totschläger und Schlagringe – ein klarer Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.
    Am folgenden Tag ließ Polizeipräsident Zörgiebel dem Gauleiter das Verbot der NSDAP und aller ihrer Zweigorganisationen zustellen, »weil die Zwecke dieser Organisationen den Strafgesetzen zuwiderlaufen«. Es galt allerdings nur für Groß-Berlin, nicht für Preußen und schon gar nicht für das ganze Reich. Die NSDAP reagierte auf typische Weise: »Der Brief wurde einem SA-Mann in die Hand gedrückt; der warf sich ein letztes Mal in volle Uniform. Fuhr zum Polizeipräsidium, und es gelang ihm tatsächlich, bis zum Zimmer des Polizeipräsidenten vorzudringen. Dort riß er barsch und frech die Tür auf, warf den Brief ins Zimmer hinein und schrie: ›Wir Nationalsozialisten weigern uns, das Verbot anzuerkennen!‹« So beschrieb es Goebbels in Kampf um Berlin 1932 – ausnahmsweise übrigens weitgehend korrekt: Tatsächlich wurde ein SA-Mann zu Zörgiebel geschickt und drang zu dessen Büro vor. Zugleich allerdings legte Goebbels offizielle Beschwerde gegen das Verbot ein, die jedoch verworfen wurde. Eine probeweise veranstaltete, kleine Protestdemostration am 12.Mai löste die Polizei umgehend auf. 16
    Natürlich schäumte die NSDAP-Parteipresse. Sie suchte und fand ihren neuen Hauptfeind im erst kurz zuvor ernannten Polizeivizepräsidenten von Berlin, Bernhard Weiß, dem eigentlichen Kopf der Ordnungsmacht in der Hauptstadt. Der Völkische Beobachter machte die folgende Sonntagsausgabe auf mit der Schlagzeile: »Verfassungsbruch der Berliner jüdisch-marxistischen Polizei«; darunter druckte die Münchner Redaktion ein Foto von Weiß im Stil eines Fahndungsplakates, überschrieben: »So sieht er aus!« Eine Woche später brachte der Völkische Beobachter sogar eine Sondernummer heraus, auf dem das Foto durch eine karikierende Zeichnung des Vizepräsidenten ersetzt war, der als »der jüdische Herr von Berlin« tituliert wurde. Hier tauchte wohl zum ersten Mal in einem NS-Organ der allerdings nicht hebräische, sondern altgriechische Beiname auf, den Bernhard Weiß fortan nicht mehr

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