Hitlers Berlin
sich in der letzten Zeit derartig gestaltet, daß mir Ihre sofortige Anwesenheit dringend notwendig erscheint. Es besteht sonst die Gefahr der Vernichtung der Berliner Bewegung.« Goebbels habe zwar das Verdienst, die Berliner Partei »zu Höchstleistungen anzuspornen«; aber der Plan einer eigenen Zeitung gefährde Otto Strassers eingeführtes Blatt. Viele weitere Punkte könnten nur mündlich angesprochen werden; daher bat Holtz Hitler »dringend, sich die Berliner Verhältnisse anzusehen und zu regeln«. Der traf sich allerdings am 20. und 21.Juni 1927 in München mit Goebbels und entschied für seinen Gauleiter. Der An griff durfte erscheinen, und der Völkische Beobachter druckte eine Erklärung unmissverständlichen Wortlauts: »In meinem Verhältnis zu Herrn Dr. Goebbels hat sich nicht das Geringste geändert, er genießt nach wie vor mein vollstes Vertrauen. Adolf Hitler.« Allerdings wies er die Gebrüder Strasser nicht zurecht; auch zum Goebbels versprochenen Besuch des verbotenen Berliner Gaus scheint es nicht gekommen zu sein: Wieder einmal ging der Parteiführer einer klaren Entscheidung aus dem Weg. 19
Derweil inszenierte Goebbels den Start seines neuen Kampfblattes – und lieferte ein propagandistisches Meisterstück ab: Am Freitag, dem
1. Juli 1927, hingen an vielen Litfaßsäulen Berlins grellrote Plakate mit dem Schriftzug De r Angriff und einem großen Fragezeichen. Am Sonnabend hieß es in derselben Aufmachung: »De r Angriff erfolgt am 4. Juli«. Erst am Ersterscheinungstag der neuen Zeitung, am Montag, zeigten weitere grellrote Plakate den gestalteten Titelschriftzug und weitere Angaben. Eine sehr aggressive, sehr moderne Form des Marketings. Doch so gelungen die Kampagne zur Markteinführung war, so sehr enttäuschte die erste Nummer des neuen Blattes: »Scham, Trostlosigkeit und Verzweiflung beschlichen mich, als ich dieses Surrogat verglich mit dem, was ich eigentlich gewollt hatte. Eine kümmerliche Winkelzeitung, ein gedruckter Käse! So kam mir diese erste Nummer vor.« Das war kein Wunder, denn der ausersehene Chefredakteur, Julius Lippert, konnte an den ersten Nummern nicht mitwirken, weil er gerade wegen Beleidigung eines Ministers und eines Beamten eine sechswöchige Gefängnisstrafe absitzen musste. Die verkaufte Auflage betrug in den ersten Monaten gerade einmal 2000 Stück, viel zu wenig für das angestrebte Ziel, mit dem Blatt das Propagandaverbot in Berlin zu unterlaufen. Trotzdem wurde jede einzelne Ausgabe nach Erscheinen sorgfältig von der Politischen Polizei geprüft; zu einem Verbot kam es jedoch nicht. Im Gegenteil, Ende Oktober 1927 lief das Redeverbot für Goebbels aus, das der freilich schon zuvor durch den klugen Schachzug, eine »Schule für Politik« zu gründen, umgangen hatte. Die Berliner NSDAP blieb vorerst weiter verboten. 20 Das änderte sich erst am 31.März 1928. Karl Zörgiebel hob das Verbot auf, um der Partei »die ungehinderte Möglichkeit zu Wahlvorbereitungen« zu geben. Immerhin geschah das so knapp vor dem Wahltermin am 20. Mai wie überhaupt nur möglich, ohne sich den Vorwurf der Wahlmanipulation einzuhandeln – die Behörden wollten der NSDAP ihr Spiel nicht zu leicht machen. Binnen zwei Wochen organisierte Goebbels die Partei neu; doch ihre wesentliche Stärke im ersten halben Jahr seiner Amtszeit 1926/27, der Freund wie Feind überwältigende Überraschungseffekt durch Rücksichtslosigkeit, war dahin. Beinahe wäre der Wahlauftritt in Berlin an 3000 Reichsmark gescheitert. Das Ergebnis war entsprechend niederschmetternd: Gerade einmal 1,5 Prozent der Stimmen erhielt die NSDAP in der Hauptstadt, wesentlich weniger als im Reichsdurchschnitt. Goebbels tröstete sich in seinem Tagebuch über das Ergebnis zwar hinweg: »Ein schöner Erfolg, aber den haben wir uns auch durch unsere Arbeit verdient.« Aber an einen wirklichen Erfolg glauben konnte er selbst nicht, wie eine Notiz vom nächsten Tag zeigt: »Ich bin also Mitglied des Reichstages. Immun, das ist die Hauptsache.« Immer hin konnte er fortan mit seiner Reichsbahnfreikarte erster Klasse durch ganz Deutschland fahren und Propagandareden halten. Angesichts der Probleme in seinem Gau machte er davon reichlich Gebrauch. Denn die Strassers, insbesondere der jüngere Bruder Otto, gaben keine Ruhe. Sie attackierten den Gauleiter in ihrer Ber liner Arbeiterzeitung und in den Nationalsozialistischen Briefen, die Goebbels pikanterweise selbst redigiert hatte, als er 1925 noch auf Seiten der beiden
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