Hitlers Berlin
und weiter zum U-Bahnhof Hallesches Tor marschieren. Ein Erlass Franz Pfeffer von Salomons, des kurz zuvor ernannten Obersten SA-Führers (OSAF) für ganz Deutschland, verlangte von den SA-Männern bei solchen Auftritten »ruhiges Verfaßtsein und Selbstverständlichkeit«. Denn »die einzige Form, in der sich die SA an die Öffentlichkeit wendet, ist das geschlossene Auftreten«. Untersagt waren fortan Schmähungen, Plakate oder Flugblätter. Durchaus treffend begründete Pfeffer: »Der Anblick einer großen Anzahl innerlich und äußerlich gleichmäßiger, disziplinierter Männer, deren restloser Kampfwille unzweideutig zu sehen oder zu ahnen ist, macht auf jeden Deutschen den tiefsten Eindruck.« Unter dem neuen Gauleiter Joseph Goebbels hielt sich Dalueges Berliner SA genau an diese Anweisung. Wie erwartet löste der Marsch vom
14. November gewaltsame Reaktionen bei kommunistischen Anwohnern aus; Neukölln war neben dem Wedding die wichtigste Hochburg der KPD in Berlin. Rangeleien und Schlägereien zwischen Nationalsozialisten
und aufgebrachten Kommunisten waren die Folge. Der Ausgang war unentschieden; auf jeden Fall bezog die SA furchtbare Prügel und hatte viele Verletzte zu beklagen. Hinter Goebbels’ Vorgehen steckte kaltes Kalkül; von ihm selbst in seinem 1932 erstmals veröffentlichten Buch Kampf um Berlin erstaunlich offen beschrieben – erstaunlich angesichts der Tatsache, dass die NSDAP zum Zeitpunkt des Erscheinens zwar schon die stärkste Partei des Reiches war, aber noch längst nicht an der Macht. Goebbels schrieb: »Es schien, als hätten die marxistischen Parteien allein das Recht, für sich die Straße zu beanspruchen (…) Die nationalsozialistische Agitation war sich darüber klar, daß sie niemals die Massen erobern könne, wenn sie nicht für sich das Recht auf die Straße proklamierte und dieses Recht auch dem Marxismus mit kühner Verwegenheit abrang.« Ebenfalls sehr direkt schilderte Goebbels die Lage der Berliner Ortsgruppe bei seiner Ankunft: »Die Öffentlichkeit hatte uns bis zur Reorganisation der Partei nur mit einem gewissen Mitleid betrachtet. Man hielt uns für harmlose Irre, die man am besten gewähren läßt, ohne ihnen ein Leid anzutun. Nichts ist schwerer zu ertragen als das.« Er fühlte sich angespornt, »immer und immer neue Mittel der öffentlichen Propaganda zu ersinnen, keine Möglichkeit auszulassen, die Aktivität der Partei zu steigern in einem Maße, daß sie am Ende selbst dieser Riesenstadt, wenn auch nur zeitweise, den Atem« nahm: »Dem Feind sollte das Lachen vergehen!« Zufrieden konstatierte Goebbels fünf Jahre später: »Man fing an, von uns zu reden. Man konnte uns nicht mehr totschweigen oder mit eisiger Verachtung an uns vorbeigehen. Man mußte, wenn auch widerwillig und mit zornigem Ingrimm, unsere Namen nennen. Die Partei wurde bekannt.« Angesichts der Energie, die Goebbels freisetzte, akzeptierten die Berliner Hitler-Anhänger sogar, dass Rauchen und Trinken »während jedes Parteidienstes« untersagt wurde. Euphorisch vermerkte der Neuköllner Muchow: »Vorbei ist die schreckliche, die kaiserlose Zeit!« 12
Fortan sprach Goebbels fast jede Woche vor wechselndem Publikum und krempelte seinen Gau kräftig um. Doch noch immer nahmen die seriösen Zeitungen der Hauptstadt kaum Notiz von der rechtsextremen Splitterpartei. Anfang 1927 fühlte er sich stark genug, um neue Auseinandersetzungen zu provozieren. Den Auftakt machte am 25. Januar eine Veranstaltung in den Seitz-Festsälen in Spandau: Mit »zerbeulten Köpfen« landeten Kommunisten, die seine Versammlung hatten sprengen wollen, auf der Straße. Danach »versah die Spandauer SA noch bis morgens fünf Uhr in kleinen Kommandos die Säuberung der Straßen und verprügelte jeden durch die Uniform kenntlichen RotfrontbundKämpfer«. Doch abermals ignorierten die Berliner Zeitungen die NSDAP weitgehend, weshalb der Gauleiter »ungeduldig und unzufrieden mit den bisherigen Ergebnissen seiner Propaganda« auf einen noch größeren Coup setzte, so sein Biograf Ralf Georg Reuth. Am 11. Februar war es soweit: Goebbels hatte die Pharus-Säle in der Müllerstraße im Wedding gemietet, einen traditionellen Versammlungsort der Kommunisten. Gewaltige rote Plakate warben für die NS-Veranstaltung, aus der sich die bis dahin schlimmste Saalschlacht entwickelte. An ihrem Ende zog die KPD mit »83 mehr oder minder schwer Verletzten« ab, wie Reinhold Muchow hämisch schrieb. Nun berichteten Berliner Blätter
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