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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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loswerden sollte: »Isidor« (wörtlich übersetzt: »Geschenk der Isis«, einer ägyptisch-hellenistischen Göttin). Er wurde offenbar 1923 von Kommunisten erstmals für Weiß verwendet, der damals die Politische Polizei Berlins leitete, war als Schmähung gedacht und wurde auch so verstanden. Die Sonderausgabe des Völkischen Beobachter wurde in kürzester Zeit, 60 Stunden nach der Anzeige durch zwei aufmerksame Polizeisekretäre, verboten und beschlagnahmt; laut Vernehmungen sollen zuvor 5 000 Exemplare verkauft worden sein – eine allerdings zweifelhafte Zahl, denn allein 3 935 Stück reklamierte ein einziger Zeitungshändler auf dem Alexanderplatz für sich. Die Beschlagnahme der Sonderausgabe war der Auftakt für ein andauerndes Duell zwischen dem NSDAP-Gauleiter und dem Polizeivizepräsidenten in den folgenden fünf Jahren, das in der Presse wie vor Gericht ausgetragen wurde. 17

    Weil Hitler seine Partei und besonders die SA nach außen hin auf einen Kurs der vermeintlichen Legalität festgelegt hatte, durfte Goebbels nicht anders als publizistisch zurückschlagen; seine trotz 400 Neumitgliedern für Berliner Verhältnisse immer noch verschwindend kleine NSDAP durfte nicht offen gegen das Parteiverbot verstoßen. Am schmerzlichsten war für ihn das gleichzeitig ergangene Redeverbot; der Verzicht auf öffentliche Aufmärsche in Berlin nahm ihm ein weiteres wichtiges Propagandainstrument. Er konstatierte rückblickend, dass der »Siegeslauf der jungen nationalsozialistischen Bewegung in der Reichshauptstadt (…) nun vorläufig (…) ein kurzes und jähes Ende genommen« hatte. Mit beachtlichem Erfindungsreichtum umging Goebbels das Verbot trotzdem bald; so etikettierte er die kurz zuvor bezogene Berliner Geschäftsstelle zum »Büro der Abgeordneten der NSDAP« um, obwohl die wenigen Reichstagsmitglieder der Hitler-Bewegung eigene Sekretariate hatten und behielten. Eine SA-Einheit in Potsdam übernahm offiziell die Standarte der verbotenen Berliner Gruppe. Die parteiinterne Propaganda wurde vom Schlagwort »Trotz Verbot nicht tot« dominiert. Untergruppen wie SA-Stürme firmierten fortan als Vereine, zum Beispiel als Kegelklub »Alle Neune«, als Schwimmverein »Hohe Welle« oder Wanderverein »Alt-Berlin«.Wenn die Polizei einem dieser Tarnvereine auf die Spur kam und ihn verbot, gründeten dieselben Mitglieder eben einen neuen. Und weil die zwangsweise Auflösung nur für das Stadtgebiet von Berlin galt, konnte die SA in der angrenzenden Mark Brandenburg weiterhin aufmarschieren – vorausgesetzt, die Hitler-Anhänger zogen ihre Braunhemden erst jenseits der Stadtgrenzen an. Nur einmal griff Weiß präventiv hart durch: Als am 22.August 1927 einige hundert Berliner SA-Männer in mehreren Zügen von Nürnberg in die Hauptstadt zurückfuhren, stoppte die Polizei sie im Bahnhof Teltow, ließ sie umsteigen in Lastkraftwagen und brachte sie ins Polizeipräsidium, wo die Männer einen Tag verbringen mussten. 18
    Seine nunmehr brachliegende Tatkraft lenkte Goebbels in einen neuen, einen innerparteilichen Machtkampf: die Auseinandersetzung mit den Brüdern Strasser. Anscheinend ging die Konfrontation diesmal von ihnen aus, doch geben die erhaltenen Quellen darüber keine klare Auskunft. Otto Strasser warf dem Gauleiter vor, durch seine Taktik der Gewalt das Verbot der Berliner NSDAP verursacht zu haben. Gerungen wurde mit lancierten Zeitungsartikeln (»Bruderzwist im Hause Hitler«) und mit Briefen an den Parteichef in München; am 5. Juni 1927 stellte Goebbels dem »lieben Herrn Hitler« in falschem unterwürfigen Ton ein Ultimatum: »Können Sie länger dulden, daß solche Methoden von Parteigenossen gegen Parteigenossen angewandt werden? Wollen Sie mir anraten, daß auch ich zu diesem neuen Schurkenstreich schweige und Ja und Amen sage? Wenn ja, dann bin ich selbstverständlich bereit. (…) In dem Fall jedoch (…) bitte ich darum, mich meines Postens als Gauführer von Berlin-Brandenburg zu entheben.«
    Goebbels spielte ein Spiel mit »hohem Einsatz« (Reuth), doch er gewann: Sein Stellvertreter Kurt Daluege, der schon im Sommer 1926 die Strasser-Brüder als zu »zahm« attackiert hatte, unterstützte Goebbels und dessen gegen die Ber liner Arbeiterzeitung gerichtetes Vorhaben, eine neue Wochenzeitung des Gaus Berlin herauszugeben, den Angr iff. Der Leiter des parteieigenen Schlichtungsausschusses in der Hauptstadt dagegen, der Oberschullehrer Emil Holtz, schrieb an Hitler: »Die Berliner Verhältnisse haben

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