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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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erstmals nennenswert über die örtliche NSDAP. Die liberale Ber liner Morgenpost demütigte die Hitler-Bewegung, vermutlich vorsätzlich, indem sie die Kundgebung einer »deutsch-sozialen Partei« zurechnete. Die Welt am Abend, ein Blatt des kommunistischen »Pressezaren« Willi Münzenberg, teilte ihren Lesern mit, dass es »die Nationalsozialisten von Anfang an auf Provokation« abgesehen hatten; das offizielle Parteiorgan der KPD, die R ote Fahne, beließ es dagegen bei einem der üblichen allgemeinen Aufrufe: »Arbeiter, schließt euch zusammen gegen die faschistischen Mörderbanden!« Durch diese Reaktionen auf den Geschmack gekommen, überzog Goebbels die Hauptstadt mit einer Vielzahl ähnlicher Veranstaltungen – doch blieb der nächste große Zusammenstoß zunächst aus. Ob weise Zurückhaltung oder doch eher Wundenlecken bei den Kommunisten dafür verantwortlich war, muss offen bleiben. 13 Wochenende für Wochenende unternahmen Berliner SA-Trupps nun Fahrten hinaus in märkische Kleinstädte, wo sie in gewohnter Weise provozierend auftraten. Auch diese Märsche dienten vor allem dem Zweck, die Kommunisten vor Ort zu reizen. Doch ging dieses Kalkül nicht auf; der Rotfrontkämpfer-Bund (RFB) hielt sich zurück. Also ließen SA-Männer die Lage aus eigenem Antrieb eskalierten . Eine Gelegenheit bot sich auf der Rückfahrt von einem SA-Fest in Trebbin nach Berlin. Im Zug saß auch eine 23 Mann starke Kapelle des RFB, die in Jüterbog zugestiegen war, darunter der KPD-Landtagsabgeordnete Paul Hoffmann. Schon auf dem Bahnsteig von Trebbin wäre es fast zu Gewalttätigkeiten gekommen; möglicherweise zog ein Kommunist einen Revolver, um die SA-Leute abzuschrecken – angesichts der mindestens zwanzigfachen Überlegenheit der Nazis nachvollziehbar, aber wenig vorausschauend. Reinhold Muchow, der in dem gedrängt vollen Zug dabei war, berichtete mit entlarvender Genauigkeit: »Für die SA war klar, daß diese Provokation gezüchtigt werden mußte (…) Die dauernde Bedrohung mit den Schußwaffen zwang uns zur Gegenwehr. Noch fiel kein Schuß. Auf den einzelnen Stationen eröffneten wir ein Steinbombardement auf den kommunistischen Wagen.« Über die Trittbretter versuchten SA-Männer, während der Fahrt den »feindlichen« Waggon zu stürmen; andere stießen vom Dach aus mit Fahnenstangen durch zerborstenes Glas in die Fensteröffnungen hinein. »Da taucht der Bahnhof Lichterfelde-Ost auf. Hier mußte die SA aussteigen. Der Höhepunkt war erreicht«, notierte Muchow. Die Hitler-Anhänger zogen alle Notbremsen, um den Zug am Weiterfahren zu hindern, und stürmten den Waggon. Schüsse fielen und verletzten zwei SA-Männer. Davon aufgestachelt, verprügelten die übrigen nun die hoffnungslos unterlegene RFB-Kapelle: »Die Abteile, in denen sich die marxistischen Meuchelmörder aufhielten, wurden von unserer rasend gemachten SA gestürmt und die Mörder einzeln herausgeholt«, schrieb der Völkische Beobachter. Ein sechs Mann starkes Überfallkommando der Polizei musste machtlos zusehen.
    Die Kommunisten wurden sämtlich verletzt, ihre Instrumente zerstört; Hoffmanns Gesicht war laut Muchow »eine unförmige blutige Masse«. Danach traf sich die braun uniformierte SA auf dem Bahnhofsvorplatz, wo inzwischen auch Goebbels eingetroffen war, vereinigte sich mit einigen hundert NSDAP-Anhängern in Zivil, die sie in Lichterfelde erwartet hatten, und trat einen Propagandamarsch durch Steglitz und Friedenau ins elegante Charlottenburg an, weiterhin sehr aggressiv: »Frech gewordene Juden wurden kurzerhand verprügelt.« Mit einer Rede des im Auto vorausgefahrenen Gauleiters auf dem Wittenbergplatz endete dieser für die Hitler-Bewegung erfolgreiche Sonntag: »Der
    20. März war bis jetzt die größte Schlacht und der geschlossenste Umzug, den die NSDAP in Berlin erlebt hat«, bilanzierte Muchow stolz. Die Polizei zählte fünf Schwer- und neun Leichtverletzte, was eher zu wenig als zu viel sein dürfte. 14
    Die Reaktion in der Hauptstadt-Presse war ein einstimmiger Aufschrei. Das Ber liner Tageblatt schrieb von »Zusammenstößen zwischen Kommunisten und Hakenkreuzlern« und warnte vor den Folgen, wenn sich »in den Kreisen dieser Wegelagerer die Meinung verbreiten« sollte, ungeschoren davonkommen zu können; die Vorfälle in Charlottenburg nannte die Zeitung treffend »Exzesse im Berliner Westen«. Die Ber liner Morgenpost mutmaßte düster: »Wie es den Anschein hat, werden die Provokateure trotz aller polizeilichen

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