Hitlers Berlin
der rötesten Ecke von Berlin aussetzen.« Trotz Hitlers Abwesenheit und strenger Auflagen der Polizei gab es Aufruhr; darauf hatten es die Nazis bewusst angelegt, indem sie zum Beispiel den Trauerzug über den Bülowplatz fahren ließen, also an der Zentrale der KPD vorbei. 30 Der Tod von Horst Wessel hatte die Berliner NSDAP kurzfristig geeint; wenig später brachen die Konflikte wieder offen aus. Die Brüder Strasser brachten ihre Be rliner Arbeiterzeitung bald täglich auf den Berliner Markt, unter dem neuen Titel De r Nationale Sozialist. Das war eine klare Kampfansage an Goebbels – zumal sein eigenes Blatt nicht recht vorankam: »Die Strasser-Zeitungen nehmen überhand, wir und der Beobachter [gemeint: Der Angriff und der Völkische Beobachter ] werden ganz an die Wand gedrückt.« Diesmal kam Hitler tatsächlich in die Hauptstadt, um den Konflikt zu regeln; nachdem Goebbels noch einmal kurz davor stand, ihm die Gefolgschaft aufzukündigen und nachdem Otto Strasser im April 1930 offen eine Anweisung aus München ignoriert hatte, konnte er die Konfrontation nicht mehr vermeiden. Anfang Mai kam es bei mehreren Gesprächen zu Auseinandersetzungen, aber auch zum letzten Versuch, die Kluft zwischen den »linken Nationalsozialisten« und den bedingungslosen Hitler-Anhängern zu überbrücken. Ärgerlicherweise drangen Informationen darüber an die Öffentlichkeit; die Münchner Telegramm-Zeitung schrieb: »Die Auseinandersetzungen innerhalb der Nationalsozialistischen Partei anläßlich der Anwesenheit Hitlers in Berlin waren sehr stürmisch. (…) In der Partei wird der ganze Zwiespalt für einen Gegensatz in ›nördliche‹ und ›südliche‹ Parteigruppen erklärt, der sich in den Namen Hitler und [Gregor] Strasser verkörpert.« Das war eine ziemlich treffende Beschreibung des Konfliktes, die Hitler im Völkischen Beobachter umgehend dementierte: »Weder besteht in der NSDAP ein Riß noch ein Gegensatz zwischen dem Abgeordneten Strasser und mir. (…) Anläßlich meiner Anwesenheit in Berlin haben überhaupt keine Auseinandersetzungen stattgefunden.« Da es Hitler ohnehin gleichgültig war, ob er nach kürzerer oder längerer Zeit seine eigenen Verlautbarungen Lügen strafen musste, störte es ihn auch nicht, sich selbst zu widerlegen, als es Ende Juni 1930 zum endgültigen Bruch mit den Anhängern Otto Strassers kam. In einem offenen Brief an Goebbels zog er ausnahmsweise einen klaren Strich: »Seit Monaten verfolge ich als verantwortlicher Leiter der NSDAP Versuche, in die Reihen der Bewegung Uneinigkeit, Verwirrung und Disziplinlosigkeit hineinzutragen. Die Unmöglichkeit, die nationalsozialistische Bewegung von außen zu brechen, wird heute offen zugegeben, und ebenso offen angeraten, die verhaßte Feindin des heutigen Systems durch innere Aushöhlung zum Zusammenbruch zu bringen. Leider haben sich einzelne Parteigenossen, ob bewußt oder unbewußt ist gleich, in den Dienst dieser Absichten gestellt. Unter der Maske, für den Sozialismus kämpfen zu müssen, wird eine Politik zu vertreten versucht, die vollkommen der Politik unserer jüdisch-liberal-marxistischen Gegner entspricht.« Goebbels erhielt eine Blankovollmacht für die »rücksichtslose Säuberung« der Berliner NSDAP und den Dank seines Führers im Voraus. Ausdrücklich nannte Hitler Berlin den »schwersten Platz des Reiches«. Daraufhin zogen es Otto Strasser und seine Gefolgsleute vor, aus der NSDAP auszutreten; sie verbreiteten in ihrer Zeitung De r Nationale Sozialist eine Erklärung mit dem Titel »Die Sozialisten verlassen die NSDAP!« Rund 800 Parteigenossen traten in den folgenden Wochen zur neuen Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationaler Sozialisten über; ein Jahr später zählte sie sogar rund 6 000 Mitglieder in 90 Ortsgruppen. Doch litt Otto Strassers Gruppe vor allem an einer wenig überzeugenden ideologischen Grundlage; ihr nationalbolschewistisches Gebräu konnte den »intellektuellen Kampf gegen den Marxismus« nicht bestehen. Strasser emigrierte nach der Machtübernahme Hitlers, lenkte zwar noch bis 1936 kleinere Gruppen in Deutschland, verlor dann aber durch die Erfolge des Regimes jeden Einfluss. Er zog schließlich nach Kanada und kehrte erst 1955 in die Bundesrepublik zurück, wo er sich bis zu seinem Tod 1974 erfolglos bemühte, seinen »deutschen Sozialismus« wieder zu beleben. Sein Bruder Gregor dagegen hielt Hitler weiter die Treue und blieb Reichsorganisationsleiter sowie Reichstagsabgeordneter der NSDAP. Wieder
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