Hitlers Berlin
entzog sich der Parteichef in der Otto-Strasser-Krise Ende Juni 1930 einem direkten Eingreifen in den Konflikt; diesmal unter dem Vorwand, Koalitionsverhandlungen in Dresden führen zu müssen. Goebbels sollte die Situation allein klären. Allerdings gab Hitler ihm ein neues Instrument in die Hand: Auf die persönliche Bitte des Parteichefs hin übernahm Kurt Daluege, der Vorgänger Stennes’, die Berliner SS: »In weitestgehender Unabhängigkeit von Himmler [der 1929 zum Reichsführer SS ernannt worden war] machte er aus der Berliner SS eine Geheimdienstorganisation der NSDAP zur Bespitzelung äußerer Gegner und der SA«, schreibt Dalueges Biografin Carol Cadle. 31
Das zahlte sich bald aus, denn kaum hatten Otto Strasser und seine Anhänger die Partei verlassen, eskalierte der nächste Konflikt. Erneut ging es um die SA, um die Bezahlung ihrer Aktivisten und um Posten für ihre Führer. Am 18. Juli 1930 hatte die Regierung Brüning den Reichstag vorzeitig aufgelöst und Neuwahlen für den 14. September angesetzt. Angesichts der zuletzt bei Landtags- und Kommunalwahlen steil ansteigenden Stimmanteile der NSDAP konnte die Hitler-Bewegung mit erheblich mehr einträglichen und prestigeträchtigen Mandaten als den bisherigen zwölf rechnen. Das weckte Begehrlichkeiten; am 27. Juli blieb der OSAF Franz Pfeffer von Salomon einer Funktionärstagung in München fern, weil Hitler seine Forderung nach SA-Kandidaten auf der Reichstagswahlliste abgelehnt hatte. Abermals ging der Parteichef das Problem nicht an, sondern ließ es schleifen, so dass bei verschiedenen SA-Gruppen, vor allem aber in Berlin der Unmut wuchs. Am 12. August reichte Pfeffer sein Abschiedsgesuch ein, das Hitler ignorierte und stattdessen dem SA-Chef Unterschlagung vorwarf. Die Situation steuerte auf eine Entladung zu. Hitler empfing den OSAF Ost Stennes am 23. August in München nicht. Goebbels notierte daraufhin: »Ernste Unterredung über die SA. Da muß nach der Wahl einiges geändert werden. Sie wird unter Pfeffer und Stennes zu selbständig. (…) Ich traue vor allem dem Stennes nicht.« Wie berechtigt die Skepsis war, zeigte sich am 28. August: Die Berliner SA verweigerte ihren Dienst; ein Stennestreuer Trupp stürmte zwei Tage später die erst Anfang Mai bezogene neue, mit 32 Zimmern ausgesprochen großzügig dimensionierte Geschäftsstelle der hauptstädtischen NSDAP in der Hedemannstraße 10 in Mitte und prügelte sich mit Dalueges der Parteiführung gegenüber loyalen SS-Männern. Die Berliner Zeitungen versuchten in ihren Ausgaben vom 31. August und vom 1. September nicht einmal, ihre Schadenfreude zu unterdrücken; mit Häme quittierten sie die hilflosen Beschwichtigungen der Parteiführung. Goebbels hatte einige »sehr, sehr schwere Tage«. Stennes sitze wie eine Spinne im Hintergrund des Aufruhrs, vermutete der Gauleiter. Trotzdem suchte er das Gespräch mit dem SA-Führer; zwei Wochen vor der wichtigen Reichstagswahl konnte er sich eine Spaltung der Berliner NSDAP nicht leisten. Das war auch der Grund, warum Hitler erneut in die Hauptstadt
Uniformverbot: Hitler mit SA in weißen Hemden in der Neuen Welt, 3. Dezember 1930
kam. Er machte – möglicherweise in Begleitung schwer bewaffneter SS-Leute – eine Tour durch Sturmlokale der aufmüpfigen SA, traf spät am Abend mit Stennes zusammen und sprach am 1. September vor einer SA-Versammlung im Kriegervereinshaus in der Chausseestraße. Am folgenden Tag erließ er zwei Befehle, mit denen er erstens selbst die Führung der SA übernahm (Pfeffers Rücktrittsgesuch hatte er zuvor doch noch akzeptiert) und zweitens wesentliche finanzielle Zugeständnisse an die SA machte. Gerade noch einmal war der Bruch zwischen SA und NSDAP-Führung vermieden worden; Stennes hielt bis auf weiteres still. 32
Der erwartete, aber doch in der Höhe überraschende Sieg der NSDAP bei der Reichstagswahl überdeckte Mitte September 1930 für einige Wochen die innerparteilichen Probleme. Für Stolz bei den nun schon fast 2000 SA-Männern in Berlin sorgte die Tatsache, dass die 107 Abgeordneten der Hitler-Partei bei der Reichstagseröffnung in Braunhemden erschienen – trotz des seit 11. Juni in Preußen, Bayern und Baden geltenden Uniformverbots. Es traf die NSDAP an einer empfindlichen Stelle: Treffenderweise vermerkte die Begründung zum Verbot, »daß sich Rotten von Nationalsozialisten in ihren Uniformen besonders stark fühlen und daher geneigt waren, gegen Andersdenkende mit Gewalt vorzugehen«. Die Nazis
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