Hitlers Berlin
wichen schnell auf weiße Hemden aus, die ihnen niemand verbieten konnte, und prügelten weiter – zum Beispiel am17. Juni in Müllers Festsälen in der Scharnweberstraße in Reinickendorf, nach der Reichstagseröffnung am 13. Oktober, als Schaufenster jüdischer Geschäfte am Potsdamer Platz zerstört wurden, oder im Dezember, als die SA die Premiere des Antikriegsfilms Im W esten nichts Neues nach Erich Maria Remarques gleichnamigem Roman im Kino Mozartsaal (heute Metropol) am Nollendorfplatz in Schöneberg sprengte, indem sie weiße Mäuse aussetzte, und in der Folge mit andauerndem Aufruhr die Streichung des Films von den Spielplänen der Berliner Kinos erzwang. Goebbels triumphierte, als auch die Filmprüfstelle einknickte und nach Protesten des Reichswehrministeriums »wegen Gefährdung des deutschen Ansehens« die Zulassung der US-Produktion aufhob. Erst 1952 kam der Film wieder auf deutsche Leinwände; in der rekonstruierten Originalfassung sogar erst 1984. 33
Diese »Erfolge« waren mehr der straff geführten SA zu verdanken als der »zivilen« Berliner NSDAP, was das Selbstbewusstsein der Braunhemden weiter stärkte. Während die Weltwirtschaftskrise voll auf Deutschland durchzuschlagen begann, logierte die NS-Führung sowohl in München als auch in Berlin immer luxuriöser. Das sorgte für Konfliktstoff in der Partei: In Augsburg und Hanau besetzten wütende SA-Männer die lokalen Parteigeschäftsstellen, konnten aber überwältigt werden. In München hielt Hitler die Situation durch häufige persönliche Präsenz unter Kontrolle, auch wenn die opulent ausgestattete neue NSDAP-Zentrale, das Braune Haus, und seine 1929 bezogene herrschaftliche Neun-Zimmer-Wohnung am Prinzregentenplatz für Unmut sorgten. In Berlin dagegen bekam Goebbels die Lage abermals nicht in den Griff – was auch an Hitler lag: Er logierte bei seinen Berlin-Aufenthalten seit dem 3. Februar 1931 regelmäßig im mondänen Hotel Kaiserhof am Wilhelmplatz in Mitte, genau gegenüber der Reichskanzlei. Das Quartier war mit Bedacht gewählt; es sollte den Machtanspruch der nun schon zweitstärksten Partei Deutschlands ausdrücken. Keine Rolle spielte, dass es innerhalb der Bannmeile lag und Hitler daher nicht durch »das Johlen vorüberziehender Kommunistenhorden« gestört werden konnte, wie der spätere Reichspressechef Otto Dietrich 1934 in seinen Erinnerungen an die »Kampfzeit« schrieb. Auch vor anderen Hotels hatte es bei Hitlers Anwesenheit in der Hauptstadt selten Demonstrationen gegeben, die Kommunisten hielten sich zudem ohnehin nicht an Bannmeilen und ähnliche Vorschriften; zum Beispiel am 21. November 1932 organisierten sie vor dem Kaiserhof eine ihrer Blitzdemonstrationen. Noch wichtiger als alle symbolische Bedeutung war aber, dass Hitler inzwischen Geschmack an aufwändigen Inszenierungen gefunden hatte – ganz gleich, was sie kosteten. Die Ausgaben im Kaiserhof waren zwar nicht so exorbitant, wie Hitler 1942 behauptete (nämlich
10 000 Reichsmark pro Woche – etwa halb so viel, wie ein Reichsminister im Jahr verdiente), aber zum Beispiel im September 1931 mit 650,86 Reichsmark für sieben Hotelzimmer an drei Tagen einschließlich aller Mahlzeiten sehr hoch. 34
Vor Februar 1931 hatte Hitler bei seinen Berlin-Besuchen entweder privat gewohnt, zum Beispiel beim späteren nationalsozialistischen Postminister Wilhelm Ohnesorge oder bei seiner Fördererin Helene Bechstein, oder er logierte in Mittelklassehotels, vor allem im Sanssouci in der Linkstraße 37 in Tiergarten, das er durch Dietrich Eckart kennen gelernt hatte. Einmal versuchte Hitler, ins vornehmere Hotel Excelsior gegenüber dem Anhalter Bahnhof umzuziehen; doch dessen Eigentümer Kommerzienrat Curt Elschner verweigerte ihm die Aufnahme. Laut eines Berichts, weil keine freien Räume mehr zur Verfügung stünden; nach einer anderen Version bezog Hitler zwar dort ein Zimmer, wurde aber nach Beschwerden von Stammgästen wieder hinausgeworfen. In jedem Fall erinnerte er sich noch Jahre später an diese Demütigung, und 1938 erging sogar ein Befehl Himmlers an alle SS-Offiziere, das Hotel Excelsior zu meiden, weil Hitler dort einst zurückgewiesen worden war. 35 Angesichts des Rufes des Kaiserhofs war der Einzug in dieses Hotel ein fragwürdiges Signal an die Berliner SA-Männer, die teilweise schon arbeitslos waren oder zumindest um ihren Arbeitsplatz bangten. Schon das im enorm aufwändig ausgestatteten Braunen Haus in München aufgestellte teure SA-Denkmal hatte
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