Hitlers Berlin
gereimt, hatte De r Angriff bereits am 23. September 1929 gedruckt, vorerst jedoch ohne große Resonanz. 28
Nun sind von jeher tote Helden die besten Helden, und so war es für den Propagandisten Goebbels geradezu ein Geschenk, als Horst Wessel am 14. Januar 1930 in seinem Zimmer in der Großen Frankfurter Straße 62 (Friedrichshain) von dem Kommunisten Albert »Ali« Höhler niedergeschossen wurde. Fünf Wochen später starb Wessel an den Folgen seiner Verletzung im Krankenhaus Friedrichshain. Die Umstände der Gewalttat sind unmittelbar von Kommunisten wie von Nationalsozialisten und später in der DDR agitatorisch ausgeschmückt worden; mal war die Rede von Streit im Zuhältermilieu, mal von einem langfristig geplanten politischen Mord, der selbstverständlich »unter Führung einer Jüdin« verübt worden sei. In Wirklichkeit ging der Tod Horst Wessels auf eine Mietstreitigkeit zurück. Seine Vermieterin Elisabeth Salm, die Witwe eines Kommunisten, wollte den unverschämt gewordenen Untermieter aus ihrer Wohnung werfen, nicht zuletzt weil er in seinem Mansardzimmer absprachewidrig mit seiner Freundin zusammenlebte, einer ehemaligen Prostituierten. Elisabeth Salm ging am Abend des 14. Januar zu den Kameraden ihres verstorbenen Mannes und bat um Hilfe. Eigentlich wollten die Rotfrontkämpfer sich nicht einmischen, doch als sie den Namen des renitenten Untermieters hörten, versprachen sie, ihm eine »proletarische Abreibung« zu verpassen. Gegen zehn Uhr abends klopften Höhler und sein Kamerad Erwin Rückert an die Tür im vierten Stock. Als Wessel öffnete, drückte Höhler sofort ab. Nach dem Journal des damaligen SA-Arztes Leonardo Conti traf die Kugel das Opfer im Mund und zerriss eine Nebenader der Halsschlagader. Da sofort operiert wurde, stabilisierte sich Wessels Zustand zunächst; doch entfernt werden konnte das im Kopf steckende Geschoss nicht. Goebbels besuchte Wessel im Krankenhaus, der laut Tagebuch mit Tränen in den Augen lallte: »Man muß aushalten! Ich freue mich!«
Der Gauleiter nutzte die Gewalttat umgehend und forderte im An griff, die Täter »zu Brei und Brühe« zu schlagen: »Dagegen gibt es keine Argumente mehr!« Außerdem druckte das Blatt eine Art Steckbrief ab und stockte die ausgelobte Belohnung für sachdienliche Hinweise auf
1000 Reichsmark auf. Höhler wurde bald darauf verraten und festgenommen; zunächst wurde er zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, aber wenige Monate nach Hitlers Machtübernahme von SA-Leute auf einem Transport entführt und ermordet. Ermittlungen wegen dieses Akts von Selbstjustiz gab es nicht. Als sich Anfang Februar 1930 der Zustand des SA-Anführers rapide verschlechterte, ließ Goebbels erstmals das »HorstWessel-Lied« öffentlich singen; am folgenden Tag notierte er voller falschem Pathos ins Tagebuch: »Es geht ihm sehr schlecht (…) Er sieht aus wie ein Gerippe. Ich habe große Sorge, ob wir ihn durchbekommen.« Genau das aber wollte Goebbels auf keinen Fall – Wessel »durchbekommen«. Als »Märtyrer für das Dritte Reich« war er viel mehr wert. 29 Als Wessel am 23. Februar 1930 starb, begann Goebbels sofort mit den Vorbereitungen für das Begräbnis, das er zum Triumphzug für die NSDAP zu machen gedachte. In einem selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich schwülstigen Leitartikel unter dem Titel »Die Fahne hoch!« schrieb der Gauleiter: »Ich sehe im Geiste Kolonnen marschieren, endlos, endlos. Ein gedemütigtes Volk steht auf und setzt sich in Bewegung. Das erwachende Deutschland fordert sein Recht: Freiheit und Brot!« Die Polizei aber durchkreuzte das Vorhaben und beschränkte den Trauerzug am 1. März zum St. Nikolai-Friedhof in Prenzlauer Berg deutlich; nur zehn Wagen für die Angehörigen wurden erlaubt. Im Tagebuch wütete Goebbels: »Jede Versammlung auf der Straße ist verboten. Die Polizei geht mit zynischer Offenheit gegen uns vor. Die KPD ruft zu Gegendemonstration auf. Es sieht also danach aus, als würde es heute ernst.« Vielleicht befürchtete auch Hitler genau das; trotz der eindringlichen Bitten seines Gauleiters lehnte er es ab, zum Begräbnis nach Berlin zu kommen. Laut Ernst Hanfstaengl warnte vor allem Hermann Göring: »Kein Mensch – auch Sie nicht, Dr. Goebbels – kann für die Sicherheit und für das Leben Hitlers garantieren. (…) Ich glaube, der Gewinn einer herausfordernden Geste an die Adresse der Kommune wiegt bei weitem nicht die Gefahr auf, der wir den Führer bei dieser Gelegenheit ausgerechnet in
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