Hitlers Berlin
Novemberwahl erwiesen sich als hinfällig, nachdem Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 das Kabinett Hitler–Papen–Hugenberg ernannt hatte. Bei den letzten wirklichen, allerdings schon nicht mehr fairen Wahlen in Berlin, nämlich zum Reichstag und zum Preußischen Landtag am 5. März und zur Stadtverordneten- und zu den Bezirksverordnetenversammlungen eine Woche später, machten die Ergebnisse der NSDAP zwar neuerlich einen Sprung nach oben, zunächst um acht und dann noch einmal um vier Prozent. Doch auch nur in die Nähe einer absoluten Mehrheit kam die Partei ausschließlich in Steglitz (48,1 Prozent). Im Wedding verweigerten sich dagegen weiterhin 70 Prozent der Wähler dem Machtanspruch Hitlers, in Friedrichshain, Neukölln und Prenzlauer Berg zwei Drittel. Es war kein Zufall, dass in diesen Bezirken in jenen Wochen der Terror der zur »Hilfspolizei« ernannten SA- und SS-Leute besonders ungezügelt wütete.
Streit in der NSDAP
»Die SA macht mir nach wie vor ernste Sorgen. Und zwar zu recht. Sie gewinnt allmählich eine zu große Selbständigkeit, und wenn Krieger anfangen, eigene Politik zu machen, dann gibt das immer Blödsinn«, notierte Goebbels am 8. August 1928 in sein Tagebuch. Sein Verbündeter an der Spitze der Berliner SA, Kurt Daluege, war bei der Neuorganisation des Wehrverbandes von Hitler übergangen worden – weil ihm sein Beruf als Ingenieur zu wenig Zeit ließ, aber auch, weil sich seine Fähigkeiten auf unbedingte Loyalität beschränkten. Statt seiner war Hauptmann a. D. Walther Stennes, ein charismatischer ehemaliger Freikorpskämpfer und Polizeioffizier, zum »Stellvertreter Ost des Obersten SA-Führers« (kurz OSAF Ost) ernannt worden und damit zum Chef aller Braunhemden östlich der Elbe einschließlich Berlins. Stennes hatte allerdings keineswegs vor, seine Truppe auf die Rolle einer Prügelgarde für Goebbels beschränkt zu sehen. Er verlangte mehr Geld für die SAMänner, mehr Einfluss für sich – und Plätze für die SA auf den NSDAPListen für die kommenden Wahlen. Am 10. August zeigte Stennes erstmals, wie er sich durchzusetzen gedachte: Er versammelte die Berliner SA-Führer, beschimpfte Hitler sowie seinen direkten Vorgesetzen, den OSAF Franz Pfeffer von Salomon, als »Lumpen« und trat demonstrativ aus der Partei aus – im Grunde dieselbe Vorgehensweise, mit der sich Hitler 1921 an die Spitze der NSDAP gesetzt hatte.Vordergründig ging es bei dem Streit um 3 500 Reichsmark, in Wirklichkeit um Machtfragen. »Die SA in großer Krise«, erkannte Goebbels am 13.August. Mit Stennes waren viele seiner Unterführer ausgetreten. »Jetzt muß endlich entschieden werden«, forderte Goebbels. Er unterbrach seinen Urlaub in Garmisch-Partenkirchen, um die Lage in Berlin zu beruhigen, und nahm schließlich sogar einen Kredit auf, um das Verlangen der ostdeutschen SA-Führung zu erfüllen. Nach einer Ansprache vor Stennes’ Vertrauten hielt der Gauleiter die Krise für beigelegt und fuhr zurück nach Bayern. Hitler versprach, demnächst zweimal in Berlin zu sprechen. Doch ein weiteres Mal vermied er es, in einem parteiinternen Streit klar Position zu beziehen – jedenfalls ist nur eine einzige Hitler-Rede in der Hauptstadt im Sommer 1928 bezeugt, und zwar am 13. Juli, also einen Monat vor der ersten Eskalation der Krise. 26
Ende September 1928 hob Preußen das Verbot für den NSDAP-Chef auf, in öffentlichen Versammlungen zu reden – als vorletzter Staat des Reiches; nur das unbedeutende Anhalt hielt das Verbot noch zwei Monate länger aufrecht. Hitler ließ sich Zeit. Als er die Gelegenheit dann am 16. November 1928 ergriff, tat er es selbstverständlich in Berlin: Weiterhin war die Hauptstadt sein wichtigster, wenn auch nicht häufigster Auftrittsort neben München. Inzwischen waren der Gau Berlin und die örtliche SA so gut organisiert, dass rund 16 000 Zuhörer in den Schöneberger Sportpalast kamen. Die Rede selbst bot die übliche Melange; wichtiger war, dass sich die Berliner NSDAP geschlossen zeigte. Stennes schien beruhigt, und nicht einmal Otto Strasser schoss quer. Goebbels verzichtete auf einen provozierenden SA-Marsch durch Arbeiterviertel zum Veranstaltungsort, um Gewalttätigkeiten soweit wie möglich zu vermeiden – allerdings nur aus taktischen Gründen, um der Berliner Polizei keinen Anlass zu bieten, erneut Zwangsmaßnahmen zu verhängen. Trotzdem kam es zu einem Todesfall: Am folgenden Morgen wurde der 33-jährige SA-Führer Hans-Georg
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