Hitlers Berlin
Politik des autoritären, auf den Notverordnungen Hindenburgs statt auf einer Reichstagsmehrheit ruhenden Kabinetts Brüning erste Erfolge zeigte. In Lausanne kamen die internationalen Mächte dem Kriegsverlierer Deutschland, nun allerdings schon von Brünings reaktionärem Nachfolger Franz von Papen regiert, schrittweise entgegen: Die Reparationslast wurde noch einmal deutlich reduziert. Mit der gewaltsamen Absetzung der kommissarisch amtierenden Regierung Preußens unter dem SPDMinisterpräsidenten Otto Braun am 20. Juli 1932 beschleunigte Papen die längst von den Deutschen mehrheitlich gewünschte Abwendung von der Demokratie; im Nachhinein zeigte sich, dass der so genannte Preußenschlag die wichtigste Barriere gegen die nationalsozialistische Machtübernahme zerstört hatte. Denn das seit 1919 fast durchgängig sozialdemokratisch regierte, rund zwei Drittel des gesamten Reiches umfassende Land Preußen war das eigentliche Rückgrat der Weimarer Republik. 39
Nach dem Rückschlag im August 1932, der die Politikfähigkeit der NSDAP in Frage stellte, häuften sich erstmals Parteiaustritte: Protestwähler und NSDAP-Mitglieder begannen, sich von der Hitler-Bewegung zurückzuziehen. Geradezu verzweifelt stemmte sich Goebbels gegen den Trend, doch selbst seine stark bearbeitete Tagebuch-Version Vo m Kaiser hof zur Reichskanzlei verrät streckenweise die Verzweiflung, die ihn im zweiten Halbjahr 1932 befiel: »Die tollsten Gerüchte werden wieder kolportiert. Das ist Berlin, die nervöseste Stadt in ganz Deutschland. Wenn man nicht hin und wieder auf ein oder zwei Tage nach München fährt, dann wird man selbst von dieser Nervosität angesteckt.« Hitler erhöhte den Erwartungsdruck seiner Gefolgsleute noch mit einer aufputschenden Rede im Sportpalast am 1. September. Doch Hindenburg sperrte sich weiterhin gegen einen Kanzler Hitler und wollte die NSDAP in eine neue Regierung lediglich einbeziehen. Die reaktionäre Kr euz-Zeitung kommentierte am selben Tag: »Der tragische Konflikt, in den wir die nationalsozialistische Partei hineingeraten sehen, ist heute entwickelt bis zu der Aussicht auf die Bildung einer parlamentarischen Koalition der Nationalsozialisten mit den schärfsten Verfechtern des überlebten parlamentarischen Systems, dem Zentrum.« Auch die De utsche Allgemeine Zei tung streute Salz in die Wunden der NSDAP. Zwar war Hermann Göring als Vertreter der mit Abstand stärksten Fraktion nach demokratischem Brauch zum Reichstagpräsidenten gewählt worden, doch schwächte dieser scheinbare Erfolg die Radikalität der Hitler-Partei: »Das zeigt am besten, wie sehr die Nationalsozialisten dem Parlamentarismus verfallen sind, während sie viele Jahre lang in den schärfsten Ausdrücken gegen die ›Quatschbude‹ gewettert hatten.« 40
Goebbels steuerte mit verbaler Radikalisierung und mit Aktivismus in Berlin gegen; die Gewalt zwischen KPD und NSDAP eskalierte. Allein fünf SA-Leute wurden von September bis November getötet; Die Opferzahl unter den Kommunisten lag noch höher. Die Nationalsozialisten erneuerten auch die Aggressivität gegen die DNVP, ihre nicht ganz so radikale Konkurrenz am äußersten rechten Rand. Am 19. Oktober »übernahm« Goebbels mit Hilfe der SA eine deutschnationale Veranstaltung im Rahmen des neuerlichen Reichstagswahlkampfes in der Neuen Welt in Neukölln und ließ danach seine Rede in hunderttausenden Extrablättern des Angr iff verbreiteten. Doch gleichzeitig tat sich innerhalb der NSDAP eine Alternative zu Hitler auf; so jedenfalls sahen es die konservativen und die reaktionären, Hindenburg nahe stehenden Kräfte. Denn Gregor Strasser, immerhin als Reichsorganisationsleiter der NSDAP zusammen mit Göring, Goebbels und Röhm unmittelbar hinter Hitler einer der einflussreichsten Funktionsträger, ließ durchblicken, für ihn sei eine Regierungsbildung mit den Nationalsozialisten als Juniorpartner vorstellbar. Strasser wollte sich mit dem Posten des Vizekanzlers zufrieden geben und die braunen Massen zur Stützung eines autoritären Kabinetts nutzen. Er deutete seine Bereitschaft ausgerechnet zwei Tage nach Goebbels’ gegen die DNVP gerichtetem Coup an und, schlimmer noch, an einem Ort nationalsozialistischer Propaganda-Triumphe. Die Wut des überrumpelten Berliner Gauleiters ist noch der sorgfältig redigierten Fassung seines 1934 veröffentlichten Tagebuchs anzumerken: »Eben in dieser Situation hält Strasser im Sportpalast eine Rede, in der er sich in auffälliger Weise bei
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