Hitlers Berlin
vorauseilenden Gehorsam der neuen Regierung zu gefallen, und schlugen besonders hart gegen KPD und SPD zu.
Am 3.Februar sprach Hitler erstmals vor der Reichswehrgeneralität in der Dienstwohnung des Chefs der Heeresleitung im Bendlerblock (Tiergarten). Die Zusammenkunft war vertraulich; deshalb konnte der neue Reichskanzler sehr deutlich werden: »Wie kann Deutschland nun gerettet werden? (…) Durch groß angelegte Siedlungspolitik, die eine Ausweitung des Lebensraums des deutschen Volkes zur Voraussetzung hat. Dieser Weg wäre mein Vorschlag. (…) Das Ziel der Ausweitung des Lebensraums des deutschen Volkes wird auch mit bewaffneter Hand erreicht werden – das Ziel würde wahrscheinlich der Osten sein.« Die Öffentlichkeit wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Hitler einen neuen Krieg wollte. Die Reichswehrgeneralität aber war seit jenem Tag informiert und keineswegs empört. Am nächsten Morgen erging die erste von mehreren Notverordnungen, die Grundrechte der Weimarer Verfassung einschränkten, zunächst vor allem die Versammlungs- und die Pressefreiheit. Darauf gestützt, sprengten Nazis in Berlin und anderen Städten Preußens immer öfter Wahlversammlungen der Hitler-kritischen Parteien und brachten deren Wahlkampf praktisch zum Erliegen. Erst jetzt, im Februar 1933, eroberte die SA tatsächlich die Straßen Berlins. Anderslautende Behauptungen von Goebbels oder anderen NSDAPPublizisten dienten ausschließlich der Parteilegendenbildung. Die Gewalt zwischen SA und Kommunisten eskalierte weiter; fast immer waren Provokationen der Hitler-Anhänger die Ursache, oft aber ließen sich die RFB-Männer und einfachen KPD-Mitglieder darauf ein. Am 17.Februar gab der kommissarische preußische Innenminister Hermann Göring den berüchtigten »Schießerlaß« heraus, eine Aufforderung zum politischen Mord. Dem Treiben staatsfeindlicher Organisationen müsse »mit schärfsten Mitteln« entgegengetreten werden, hieß es darin. Insbesondere gegen »kommunistische Terrorakte und Überfälle« sei »mit aller Strenge« und »wenn nötig, mit der Schußwaffe vorzugehen«. Die Kernsätze des Erlasses lauteten: »Polizeibeamte, die in Ausübung dieser Pflichten von der Schußwaffe Gebrauch machen, werden ohne Rücksicht auf die Folgen des Schußwaffengebrauchs von mir gedeckt. Wer hingegen in falscher Rücksichtnahme versagt, hat dienstrechtliche Folgen zu gewärtigen.« Jeder Beamte habe »sich stets vor Augen zu halten, daß die Unterlassung einer Maßregel schwerer wiegt als begangene Fehler in der Ausübung«. Fünf Tage später zog Göring die Schraube noch einmal an und ernannte 50 000 SA- und SS-Männer in ganz Preußen zu Hilfspolizisten. Offiziell sollten sie die staatliche Polizei unterstützten, in Wirklichkeit agierten sie selbstständig. Die Aufgabe der »Hilfspolizisten« war es, den »Schutz politischer Versammlungen und Aufzüge« zu gewährleisten – natürlich nur jener der Regierungsparteien – und »auch in anderen Fällen zum Schutz der durch staatsfeindliche Handlungen gefährdeten öffentlichen Sicherheit« eingesetzt zu werden.
Damit wurden die Urheber der Gewalt ganz offiziell zu Organen der Staatsmacht. Was folgte, hat der Chronist der Berliner SA, Julek Karl von Engelbrechten, 1937 mit entlarvender Genauigkeit beschrieben: »Die Ausrottung des Marxismus in der Hauptstadt in jeglicher Gestalt und Form ist die erste Aufgabe, die die SA in Zusammenarbeit mit den staat-
Nationalsozialistische Revolution: SA-Mann als Hilfspolizist, 6. März 1933
lichen Behörden zu lösen hatte. Der Kampf gegen die letzten roten Terrorversuche, (…) die Aufstöberung der illegalen Organisationen, die Beschlagnahmung von Waffen und Propagandamaterial dauern die nächsten Monate über an und sind schwer und blutig.« Auch die ersten Gewalttaten gegen Juden setzten unmittelbar ein; noch am 17. Februar sprengte ein SA-Trupp eine Examensprüfung an der Staatlichen Kunstschule in Schöneberg, vertrieb »jüdische« oder »marxistische« Professoren und verprügelte Studenten, die sich zur Wehr setzten. 6 Starr vor Schrecken standen die meisten bürgerlichen Wähler, viele Gewerkschafter und Sozialdemokraten vor diesen Eruptionen der Gewalt. SA und SS ignorierten alle Grundsätze des Rechtsstaates. Doch selbst diese Willkür war noch steigerungsfähig. Am 27. Februar 1933 stieg der 24-jährige geistig verwirrte holländische Anarchist Marinus van der Lubbe gegen 21 Uhr über einen Balkon an der Westfassade ins
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