Hitlers Berlin
Frank, Hitlers Anwalt und später Generalgouverneur in Krakau, schrieb im Angesicht des Todes im Nürnberger Hauptkriegsverbrechergefängnis: »Diese Geburtsstunde des Dritten Reiches war Glanz und Glück.« Der SA-Mann Hein Ruck, der 1931 noch am Stennes-Putsch teilgenommen hatte, erinnerte sich: »Ich glaube nicht, daß Deutschland jemals wieder einen Mann finden wird, der soviel Hoffnung, Vertrauen und Liebe zu wecken vermag wie Hitler in jenen Stunden.«
Ganz anders sah Harry Graf Kessler die Ereignisse; in sein Tagebuch notierte der Pazifist und Schriftsteller: »Berlin ist heute Nacht in einer reinen Faschingsstimmung. SA- und SS-Trupps sowie uniformierter Stahlhelm durchziehen die Straßen, auf den Bürgersteigen stauen sich die Zuschauer. In und um den Kaiserhof [genau gegenüber der Reichskanzlei] tobte ein wahrer Karneval; uniformierte SS bildete vor dem Haupteingang und in der Halle Spalier, auf den Gängen patrouillierten SA- und SS-Leute; als wir herauskamen, defilierte ein endloser SA-Zug im Stechschritt an irgendwelchen Prominenten (zweite Garnitur, Hitler selbst war in der Reichskanzlei) vorbei, die sich vor dem Hauptportal [des Hotels Kaiserhof] aufgebaut hatten und ihn mit dem Faschistengruß grüßten; eine richtige Parade. Der ganze Platz gepropft voll mit Gaffern.« Auf eine kürzere Formel brachte es der Maler Max Liebermann, der das Haus direkt neben dem Brandenburger Tor bewohnte: »Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen muss.« 4
Goebbels dagegen jubilierte – in seiner ersten Radioansprache. Der neue Reichsinnenminister Wilhelm Frick hatte per Anweisung erzwungen, dass der Berliner Gauleiter über den Reichsrundfunk sprechen durfte. Alle Stationen außer Stuttgart und München fügten sich dem Befehl, und so konnten Millionen Deutsche am späten Abend des
30. Januar hören, wie Goebbels ins Schwärmen kam: »Es ist für mich nur ergreifend zu sehen, wie in dieser Stadt, in der wir vor sechs Jahren mit einer Handvoll Menschen begonnen haben, wie in dieser Stadt wirklich das ganze Volk aufsteht, wie unten die Menschen vorbeimarschieren, Arbeiter und Bürger und Bauern und Studenten und Soldaten – eine große Volksgemeinschaft.«
Gleichzeitig jedoch setzte die Berliner SA die Provokationsstrategie fort, mit der Goebbels Ende 1926 begonnen hatte; inzwischen brauchte sie seine Anleitung längst nicht mehr: Auf dem Rückweg vom Fackelzug zu seinem Sturmlokal in der Hebbelstraße nahm der berüchtigte SASturm 33 unter seinem Führer Hans Eberhard Maikowski, einem amnestierten Mörder, einen Umweg durch die Wallstraße (heute Zillestraße), eine der wenigen KPD-Hochburgen im bürgerlichen Charlottenburg. Der Polizeioberwachtmeister Josef Zauritz begleitete den Zug befehlsgemäß. Die KPD-Anhänger in der Wallstraße ließen sich provozieren und lieferten der SA ganz nach der Maßgabe ihres Politbüros eine Straßenschlacht. Dabei fielen Schüsse, die Maikowski und Zauritz töteten. Die genauen Umstände wurden nie ermittelt, doch es ist möglich, dass tatsächlich Kommunisten die beiden Männer an der Spitze des Zuges gezielt erschossen. Die NSDAP bekam gleich am ersten Tag ihrer Regierung ihren nächsten Märtyrer. 5
Explosion der Gewalt
Der Tod von Maikowski und Zauritz war ein Geschenk für die Regierung Hitler. Taten wie diese gaben den neuen Machthabern die Möglichkeit, die Gefahr eines kommunistischen Aufstandes zu beschwören und mit bis dahin unvorstellbarer Gewalt gegen ihre politischen Gegner vorzugehen. Aktionismus war zunächst das einzige Konzept der neuen Regierung; irgendwelche Pläne für die Zeit nach einer Regierungsübernahme hatte die NSDAP nie gemacht. Dennoch bedienten sich die braunen Minister so instinktiv wie virtuos und rücksichtslos aller verfügbaren Mittel, ihre Macht zu erweitern.
Am 2. Februar wurde der Vorwärts verboten, für drei Tage – und zwar, weil das SPD-Blatt den Aufruf der SPD-Spitze zur Reichstagswahl am
5. März abgedruckt hatte. Gleichzeitig wurde gegen die KPD ein vollständiges Demonstrationsverbot verhängt. Nun erwies es sich als verheerend, dass die demokratisch gesinnten mittleren und leitenden Beamten in der Polizei schon nach dem »Preußenschlag« des damaligen Kanzlers Franz von Papen, der verfassungswidrigen Entmachtung der SPD-geführten preußischen Regierung am 20. Juli 1932, durch Reaktionäre ersetzt worden waren: Die oft noch unerfahrenen Kommissariatsund Abteilungsleiter versuchten vielfach, durch
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