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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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angebracht, Schmähungen auf Schaufenster gemalt, in ruhigen Seitenstraßen auch jüdische Geschäfte geplündert. Das KaDeWe am Tauentzien blieb geschlossen, Karstadt am Hermannplatz dagegen durfte öffnen – am Tag zuvor hatte die Geschäftsführung vorsorglich sämtliche jüdischen Angestellten entlassen. Goebbels schrieb in seinem Propagandawerk Vo m Kaiserhof zur Reichskanzlei über diesen ersten Boykotttag: »Alle Judengeschäfte sind geschlossen. Vor den Eingängen stehen SA-Posten. Das Publikum hat sich überall solidarisch erklärt. Es herrscht eine musterhafte Disziplin. Ein imponierendes Schauspiel!«
    Entgegen den Behauptungen des gerade erst zum Propagandaminister ernannten Gauleiters erwies sich der Boykott aber nicht als der erwartete »Erfolg«: Viele Kunden ignorierten die SA-Trupps vor Geschäften, die ihrerseits nicht wagten, gegen »ganz normale« Bürger so brutal vorzugehen wie gegen Kommunisten. Erich Ebermayer, Sohn eines de mokratisch gesinnten, bereits pensionierten Oberreichsanwalts, hielt in seinem Tagebuch fest: »Alle jüdischen Geschäfte sind mit einem großen gelben Kreis an den Schaufenstern gekennzeichnet. Vor dem Eingang stehen zwei SA-Männer. Das Geschäft ist aber nicht geschlossen. Man kann hineingehen und kaufen, wenn man den Mut hat. M. und ich haben den Mut (…) Beim Betreten des Ladens sagt jeweils der SA-Mann in durchaus höflichem, diszipliniertem Ton: ›Jüdisches Geschäft!‹ Wir, ebenso höflich und diszipliniert: ›Danke, wir wissen Bescheid!‹ Erstaunter Blick des SA-Mannes, aber nirgends eine Anpöbelei.« Das verheerende Echo auf den Boykott sowohl im Ausland als auch beim deutschen Handel und im konservativen Bürgertum tat ein Übriges und führte dazu, dass die Aktion nach einem Tag eingestellt wurde.
    Bis auf weiteres beschränkten sich die Behörden auf juristische Maßnahmen gegen Juden, allerdings mit perversem Einfallsreichtum. Dutzende Erlasse, Verordnungen und Durchführungsbestimmungen schränkten das Leben der Berliner jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung in den kommenden Monaten immer weiter ein. Jüdische Kindergärten bekamen keine Unterstützung mehr (7. April), jüdische Ärzte durften keine Krankschreibungen für Lehrer mehr ausstellen (4. Mai) und keine »arischen« Patienten mehr behandeln (29.Juni). Jüdische Anwälte konnten nicht mehr vor Gericht auftreten (27.Juli) und alle Juden wurden von den Leistungen staatlicher Wohlfahrt ausgeschlossen (5.August). Seit 20. März entließ die Stadtverwaltung jüdische Ärzte, im Oktober schloss der Tennisklub »Rot-Weiß Berlin« seine jüdischen Mitglieder aus. Das erste Badeverbot für Juden war bereits im April im Schwimmbad Gartenstraße (Mitte) ausgesprochen worden, Mitte August folgte das Strandbad Wannsee. Anfang Dezember galt in allen Berliner Sportklubs der »Arierparagraph«, der Juden die Mitgliedschaft versagte. Schon seit dem 7. April 1933 durften Juden nicht mehr Beamte sein; das erste offen antisemitische Gesetz des Deutschen Reiches führte in ganz Deutschland zur ihrer Zwangsentlassung. Ausgenommen waren auf Intervention des Reichspräsidenten lediglich die Juden, die sich im Weltkrieg an der Front ausgezeichnet hatten.
    Gleichzeitig hielten SA- und SS-Trupps den Terror aufrecht, in Berlin ebenso wie in anderen Städten. Doch sollte die Gewalt nicht mehr so offen vor den Augen der deutschen und der Weltöffentlichkeit ausgeübt werden. Daher richteten SA und SS überall im Reich zentrale Folterstätten ein; in der Hauptstadt zum Beispiel im ehemaligen Militär gefängnis an der Columbiastraße in Tempelhof (heute Columbiadamm) oder in den Kasernen an der General-Pape-Straße sowie nördlich Berlins auf dem Gelände einer stillgelegten Brauerei in Oranienburg. Auch dieses Lager gehörte ursprünglich zu den »wilden KZs«. Es entstand am
    21. März 1933 auf Initiative der Oranienburger SA, aber deren Chef schlug schon am 11. April dem Potsdamer Regierungspräsidenten vor, die bis dahin von der SA aus eigenen Mitteln betriebene, primitive und rechtswidrige Haftstätte zu übernehmen. Nach einer Inspektion des Geländes stimmten die Behörden zu, überführten das Lager zum 1.August offiziell in Staatsverantwortung – und zahlten für die Zeit vom 21. März bis zum 31.Juli rückwirkend 108 175,- Reichsmark an die SA, die das Lager trotzdem weiter betrieb. Nach und nach wurden alle »wilden KZs« entweder geschlossen oder in ähnlicher Form wie Oranienburg zu

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