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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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Hauptgeschoss des Reichstagsgebäudes ein. Er hatte nichts bei sich außer den Kleidern am Leib, vier Paketen Kohlenanzündern und Streichhölzern. Im Abgeordnetenrestaurant warf er das erste brennende Anzünderpäckchen unter eine Gardine, ein zweites unter einen Tisch, entzündete mit der dritten Packung mehrere Vorhänge und begann einen Irrweg durch das menschleere Gebäude. Seine Jacke und sein Hemd hatte er ausgezogen und benutzte sie als Fackeln, ebenso mehrere Tischdecken. Mit ihnen steckte er alles brennbare Material an, bis er um 21.27 Uhr festgenommen wurde.
    Das Feuer im Reichstag war bereits die vierte Brandstiftung van der Lubbes in Berlin. Am 25. Februar hatte er brennende Kohlenanzünder auf eine Baracke des Wohlfahrtsamtes Neukölln, ins Erdgeschoss des Roten Rathauses und von einem Baugerüst aus in den fünften Stock des Stadtschlosses geworfen. Alle drei Feuer konnten rasch gelöscht werden; nur von dem Brand im Schloss nahmen Berlins Zeitungen überhaupt Notiz. Erst die vierte Brandstiftung gelang: Der Plenarsaal des Reichstages brannte total aus. Als Grund für seine Tat gab van der Lubbe in seinen Verhören an, er habe ein Fanal setzen wollen. Als Ziel hatte er sich seinen eigenen Aussagen zufolge den Reichstag gewählt, »weil das ein Zentralpunkt des Systems ist«. Bei seinen verschiedenen Vernehmungen und vor Gericht gestand der Attentäter die Brandstiftung, für die er rechtswidrig zum Tode verurteilt und Anfang 1934 gehenkt wurde. Geglaubt hat man van der Lubbe seine Geständnisse nicht – damals nicht, weil die NSDAP unbedingt Kommunisten als »Hintermänner« der Brandstiftungen »überführen« wollte; seither nicht, weil sich hartnäckig die Legende hält, SA-Leute seien die eigentlichen Brandstifter gewesen, die den verwirrten Holländer lediglich als Sündenbock zurückgelassen hätten. Doch sämtliche dafür vorgelegten »Beweise« erwiesen sich als Fälschungen. Hitler kam der Brand im Reichstag sehr gelegen, stützte er doch die Behauptung, die KPD plane einen Umsturz. Als der Reichskanzler in dieser Nacht das noch brennende Parlamentsgebäude betrat, soll er nach dem Bericht des britischen Korrespondenten Sefton Delmer zu Franz von Papen gesagt haben: »Dies ist ein von Gott gegebenes Signal, Herr Vizekanzler. Wenn dies Feuer, wie ich glaube, das Werk der Kommunisten ist, dann müssen wir die Mörderpest mit eiserner Faust zerschlagen.« Vielleicht hat Hitler tatsächlich an eine Täterschaft der KPD geglaubt; Ende
    1941 kam er bei seinen Monologen im Führerhauptquartier zweimal auf das Thema Reichstagsbrand zu sprechen und bestand beide Male auf der Schuld der Kommunisten. 7
    Obwohl sich die ermittelnden Beamten schnell sicher waren, dass van der Lubbe keinerlei Hintermänner hatte, schuf Hermann Göring Tatsachen. Offiziell berechtigte ihn dazu die »Notverordnung zum Schutz von Volk und Reich« vom Nachmittag des 28. Februar, besser bekannt als »Reichstagsbrandverordnung«. Sie setzte die meisten Grund- und Menschenrechte außer Kraft. Noch vor Erlass dieser Verordnung ließ Göring gnadenlos gegen alle »Linken« zuschlagen, gegen Politiker ebenso wie gegen Intellektuelle und Publizisten – und zwar auf der Grundlage von Listen, die bereits im zweiten Halbjahr 1932, nach dem »Preußenschlag«, erstellt worden waren. Ab den frühen Morgenstunden des
    28. Februar 1933 verhafteten reguläre Polizeibeamte, vor allem aber Hilfspolizei aus SA und SS in ganz Preußen Kommunisten und Sozialdemokraten. Wer Glück hatte, kam in Obhut der Polizei und in ein Untersuchungsgefängnis. Wer Pech hatte, wurde von SA-Trupps in ihre Sturmlokale oder irgendwelche kurzfristig requirierten Räume gebracht und misshandelt. Gefoltert wurde in den Gerätekammern des Wasserturms in Prenzlauer Berg ebenso wie im Hinterzimmer einer Kneipe in der Goethestraße 14 in Charlottenburg, im SA-Sturmlokal in der Liebenwalder Straße im Wedding ebenso wie im Keglerheim an der Petersburger Straße in Friedrichshain. Wie viele Folterkeller es am letzten Februartag und in den ersten Märzwochen gab, ist nicht mehr feststellbar; Historiker haben für die Jahre 1933/34 insgesamt mehr als 150 solche »wilde KZs« in Berlin identifiziert, von denen manche nur wenige Nächte, andere monatelang genutzt wurden.
    Viele SA-Leute beglichen »alte Rechnungen« aus der »Kampfzeit« oder quälten zum Vergnügen »Ostjuden«, also an ihrem Äußeren erkennbare, häufig staatenlose orthodoxe Juden, die sie im

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