Hitlers Berlin
Hitler, in Berlin umlaufende Putschgerüchte, die am Abend zuvor ein Mittelsmann reaktionärer Kreise in Goebbels’ großzügiger Wohnung am Charlottenburger Reichskanzlerplatz (heute Theodor-Heuss-Platz) berichtet hatte: »Alvensleben kommt mit tollen Mären. Hindenburg werde heute ein Papen-Minderheitskabinett einsetzen. Reichswehr lasse sich das nicht gefallen. (…) Also Staatsstreich.
Drohung, Ernst, Kinderei?« Wohl dieses Geraune ließ den Reichspräsidenten seinen Widerstand gegen ein Kabinett unter Hitlers Führung aufgeben. Der französische Botschafter in Berlin, André François-Poncet, berichtete an sein Ministerium: »Man erzählt, die Potsdamer Garnison marschiere, von Schleicher und den Generälen alarmiert, auf die Hauptstadt los, und rasches Handeln tue Not, wenn man einen Staatsstreich verhüten wolle. Wahrscheinlich ist an dieser Geschichte nichts Wahres, sie ist dazu bestimmt, die letzten Bedenken Hindenburgs zu zerstreuen.« Jedoch glaubten selbst nüchterne, demokratisch gesinnte Köpfe an einen bevorstehenden Putsch. So war auch Theodor Eschenburg, damals Referent eines liberalen Industrieverbandes, überrascht, als sich gegen Mittag des 30. Januar in Berlin die Nachricht verbreitete, Hitler sei zum Reichskanzler ernannt worden: »Ich war wie erschlagen und konnte mir einfach nicht erklären, wie das eben für unwahrscheinlich Geglaubte gleichsam über Nacht hatte eintreten können.« 1 Erstaunen und demonstrative Zurückhaltung spiegelten sich in den Reaktionen der Zeitungen. Noch am schärfsten kommentierte die liberale Ber liner Morgenpost: »Wir werden also die Taten der neuen Regierung daraufhin zu prüfen haben, ob sie mit ihrem Eid [auf die Weimarer Verfassung] in Einklang zu bringen sind. In aller Ruhe, mit kühler Sachlichkeit, wie sie unter politischen Gegnern allgemein Übung sein sollte. Wir werden uns durch nichts provozieren lassen und empfehlen allen, die von diesem Regierungswechsel nicht erbaut sind, das Gleiche zu tun.« Als angemessene Geisteshaltung legte die damals mit Abstand auflagenstärkste Zeitung Deutschlands ihren Lesern »wachsames Mißtrauen« nahe. Klarer äußerte sich der SPD-Reichstagsabgeordnete Julius Leber: »Ungeheuer sind die Gefahren«, beruhigte sich jedoch selbst: »Aber unerschütterlich ist die Festigkeit der deutschen Arbeiterschaft. Wir fürchten die Herren nicht. Wir sind entschlossen, den Kampf aufzunehmen.« Die Stärke und Einigkeit der Arbeiterbewegung, auf die Leber setzte, sollte sich binnen weniger Stunden als trügerische Hoffnung erweisen. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund und die christlichen Arbeitnehmervertretungen rieten zwar ihren Mitgliedern vernünftigerweise: »Um Angriffe gegen Verfassung und Volksrechte im Ernstfalle wirksam abzuwehren, ist kühles Blut und Besonnenheit erstes Gebot. Laßt euch nicht zu voreiligen und darum schädlichen Einzelaktionen verleiten.« Aber die KPD, die ein Vierteljahr zuvor noch mit der NSDAP den »wilden« BVG-Streik inszeniert hatte, rief prompt am selben Tag zu
Huldigung: Hitler auf dem Balkon des Kaiserhof, 30. Januar 1933
Aktionen auf: »Das blutige, barbarische Terrorregime des Faschismus wird in Deutschland aufgerichtet. Massen, laßt nicht zu, daß die Todfeinde der Arbeiter und armen Bauern, der Werktätigen in Stadt und Land ihr Verbrechen durchführen. Setzt euch zur Wehr gegen die Anschläge und den Terror der faschistischen Konterrevolution. Heraus auf die Straße! Legt die Betriebe still! Antwortet sofort auf den Anschlag der faschistischen Bluthunde mit dem Streik, dem Massenstreik, dem Generalstreik!«
Damit vertiefte sich im entscheidenden Moment die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung, auf deren Einheit Julius Leber und viele andere setzten. Schon seit 1929 hatte die KPD auf Anweisung aus Moskau die SPD als »Hauptfeind« der Arbeiterklasse und als vermeintlich »sozialfaschistisch« bekämpft. Eine »Einheitsfront« mit Gewerkschaften und SPD lehnte die KPD kategorisch ab. Noch am 26. Januar 1933 hatte die Ro te Fahne den Vorschlag des Vorw ärts, allen gegenseitigen Verbitterungen zum Trotz einen »Nichtangriffspakt« zwischen SPD und KPD zu schließen, als »infame Verhöhnung des antifaschistischen roten Berlins« zurückgewiesen. Zudem provozierten die kommunistischen Spit zenfunktionäre mit dem Aufruf Aktionen ihrer Anhänger, die wiederum den Nazis den Vorwand für »Gegenmaßnahmen« gaben und beim Bürgertum (eine sachlich unbegründete) Angst vor einem
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