Hitlers Berlin
bevorstehenden bolschewistischen Umsturz schürten. Die Rolle der KPD in den Wochen der schrittweisen Machteroberung der NSDAP im Februar und März 1933 kann kaum überschätzt werden: Ohne die beständig übertriebene, aber eben durch den Aktionismus der KPD scheinbar bestätigte Sorge vor einem bevorstehenden bolschewistischen Aufstand hätte sich das deutsche Bürgertum gewiss nicht so leicht, ja praktisch widerstandslos von Hitler vereinnahmen lassen. Das ist umso tragischer, als Thälmann und das damalige Mitglied des Politbüros Walter Ulbricht ihre Anhänger in einen unvorbereiteten, von vornherein aussichtslosen Kampf schickten. Denn es gab zwar einen »Militärapparat« der KPD, einen illegalen Geheimbund, aber er war nicht annähernd so gut organisiert, dass irgendwelche Aussichten auf Erfolg für eine Auseinandersetzung mit der NSDAP, der preußischen Polizei und der Reichswehr bestanden hätten. Die Opfer, die einfache Kommunisten in den folgenden Wochen brachten, waren enorm. Doch rechtfertigen sie nicht nur nicht die Taktik des KPD-Politbüros, sondern entlarven Thälmanns und Ulbrichts Vorgehen als extrem verantwortungslos. 2
Der neuen Regierung kamen die Spaltung der Arbeiterbewegung und der hilflose Aktionismus der Kommunisten gelegen. Schon in der ersten Kabinettssitzung am Spätnachmittag des 30. Januar wurde diskutiert, wie man mit der KPD umgehen sollte: Sofort gewaltsam unterdrücken oder mit allen legalen und im Bedarfsfall auch illegalen Mitteln in einem erneuten Wahlkampf marginalisieren? Hitler bevorzugte eine weitere Reichstagswahl, eine »letzte«, wie er versprach: Der bedingungslose Verächter von Parlament und Demokratie wollte mit einer absoluten Mehrheit der NSDAP die eigene Machtposition stabilisieren und sich von seinen konservativen Koalitionspartnern, dem reaktionären Katholiken und neuen Vizekanzler Franz von Papen, dem DNVP-Chef und Zeitungsmagnaten Alfred Hugenberg sowie der Veteranenvereinigung Stahlhelm, befreien. Hitler setzte sich durch. Bis zum Wahltermin am
5. März gelang es ihm, vor allem in Berlin alle Machtinstrumente des Staates zu mobilisieren, um die Wahlchancen der NSDAP zu verbessern. So wurde noch am 30. Januar das Verbot von Demonstrationen durch das Brandenburger Tor aufgehoben; bis dahin hatte die strikte Regelung der Bannmeile in der Weimarer Republik politische Aufmärsche durch das Wahrzeichen der Hauptstadt verhindert. Das Brandenburger Tor lag nur wenige Dutzend Meter vom Reichstag entfernt und kaum weiter von den Ministerien an der Wilhelmstraße, also inmitten des Regierungsviertels. Am 30. Januar um 19 Uhr sammelten sich SA- und NSDAPMitglieder, aber auch Angehörige des Stahlhelms und weitere Hitler-Anhänger am Großen Stern im Tiergarten, um einen Fackelzug durchs Brandenburger Tor hindurch und die Wilhelmstraße hinunter zu beginnen. Etwa um 20.30 Uhr passierten die ersten Marschierer das Dienstgebäude der Reichskanzlei in der Wilhelmstraße 78. Hitler nahm die improvisierte Parade vom Fenster seines neuen Arbeitszimmers aus ab, der Reichspräsident ließ sich an einem anderen Fenster sehen. Hindenburg mochte Fackelaufzüge, wie in Berlin gespöttelt wurde, »weil er dann länger aufbleiben darf«. Anderen Berichten zufolge soll sich der 84-Jährige während des Aufmarsches zu seinem Staatssekretär umgedreht und ihn gefragt haben: »Haben wir wirklich alle diese Russen bei Tannenberg gefangen genommen?« Beide Anekdoten verdeutlichen den geringen Respekt der Deutschen vor ihrem längst senilen Staatsoberhaupt.
Dreieinhalb Stunden dauerte das Spektakel. Goebbels schrieb in seinen Notizen von einer Million Teilnehmern, die NS-Presse berichtete von halb so vielen, der britische Botschafter in Berlin, Horace Rumbold, schätzte höchstens 50 000 und sein Militärattache sogar nur 15 000; die Journalistin Bella Fromm nannte 20 000. Die berühmten Fotos und Filmbilder vom Fackelzug durchs Brandenburger Tor entstanden übrigens bis auf ganz wenige unterbelichtete und verwackelte Aufnahmen sämtlich bei zwei späteren Nachstellungen des Ereignisses für die Kameras des Propagandaapparates. 3
Die Reaktionen auf den Fackelzug waren sehr unterschiedlich; Hitlers Fotograf Heinrich Hoffmann schwärmte noch anderthalb Jahrzehnte später in seinen Erinnerungen: Eine »Meisterleistung« habe Goebbels vollbracht, eine »imposante Kundgebung«. Hitler habe Hoffmann gefragt: »Wo hat er [Goebbels] nur in der kurzen Zeit die vielen Fackeln aufgetrieben?« Hans
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