Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
und fügte nach kurzem Überlegen hinzu: »So gesehen kann Irina Portner von Glück reden, dass ihr Mann dem Artisten in die Quere gekommen ist. Auch wenn er das mit seinem Leben bezahlt hat.«
»Was hat die Befragung der Nachbarn ergeben?«, fragte Verhoeven.
»Bislang nicht viel. Aber erfahrungsgemäß dauert es eine Weile, bis die Leute aus der Deckung kommen.« Wieczorek kippte seinen Kaffee hinunter, als wenn es Wasser wäre. »In dieser Gegend scheinen sich die Leute allerdings hauptsächlich mit sich selbst zu beschäftigen. Man kennt einander vom
Sehen, sagt sich Guten Tag und Auf Wiedersehen, wenn sich’s partout nicht vermeiden lässt, und geht ansonsten am liebsten seiner eigenen Wege.«
»Also kein Gerede über Eheschwierigkeiten oder dergleichen? «
»Na ja …« Er stellte seine Tasse ab.
»Nämlich?«
»Mit ihr scheinen die meisten gar nichts anfangen zu können. Sie verbringe viel Zeit allein und gehe eher selten aus dem Haus. Er hingegen wird – je nachdem, wen Sie fragen – als anmaßendes Arschloch oder als smarter Lebemann dargestellt. Auch wenn ich nicht den Eindruck habe, dass irgendjemand wirklich etwas über ihn weiß. Wenn Sie …« Er unterbrach sich, als Verhoevens Handy zu klingeln begann.
Winnie Heller registrierte, wie ihr Vorgesetzter eine Nuance blasser wurde, auch wenn er sich alle Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen.
»Das Baby?«, fragte Bredeney.
Verhoeven warf einen kurzen Blick auf das Display und schüttelte dann mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung den Kopf. »Nein, die Gerichtsmedizin.«
»Okay«, kam Dr. Gutzkow mit der ihr eigenen preußischen Direktheit zur Sache, kaum dass Verhoeven auf die Taste mit dem grünen Hörer gedrückt hatte. »Ich habe gerade die Laborergebnisse von Frau Portners Abstrichen auf den Schreibtisch bekommen.«
»Und?«
»Es ist zweifelsfrei derselbe Kerl.«
»Der Artist?«
»Genau.«
Verhoeven stutzte. »Aber?«
Er hörte Dr. Gutzkows Lachen. »Wie kommen Sie darauf, dass da ein Aber dabei ist?«
»Das höre ich.«
»Ick wusste jar nich, det ick so berechenbar bin«, scherzte sie, doch dann wurde sie schlagartig wieder ernst. »Aber Sie haben recht. Es gibt tatsächlich eine Einschränkung. Allerdings betrifft sie nicht Irina Portner beziehungsweise die Vergewaltigung als solche, sondern den Ehemann.«
»Wie das?«
»Okay, der Reihe nach.« Verhoeven hörte das Rascheln von Papier. »Das endgültige Ergebnis des toxikologischen Gutachtens steht zwar noch aus, aber ich kann Ihnen bereits jetzt verraten, dass Jan Portner zum Zeitpunkt seines Todes weder unter Drogen- noch unter Alkoholeinfluss gestanden hat.«
Wie nicht anders zu erwarten war, dachte Verhoeven.
»Darüber hinaus war er kerngesund und für einen Mann seines Alters überdurchschnittlich fit. Als ich ihn erstmals begutachtet habe, war er rund drei Stunden tot, was bedeutet, dass der Todeszeitpunkt irgendwo zwischen elf Uhr und Mitternacht liegt.«
»Das passt«, nickte Verhoeven.
»Allerdings haben mir die Schusskanäle gehörig zu denken gegeben. Und zwar gleich von Anfang an.«
»Wieso?« Verhoeven registrierte, wie seine Kollegen am Tisch allmählich unruhiger wurden. »Was ist denn damit?«
»Ich habe mir die Aufnahmen von diesem Schlafzimmer ganz genau angesehen«, erklärte Dr. Gutzkow, ohne auch nur mit einer Silbe auf seine Frage einzugehen. »Und mich daraufhin auch noch einmal mit der Ballistik kurzgeschlossen.« Sie seufzte. »Wir werden das alles selbstverständlich noch vor Ort nachstellen, aber eins können wir bereits jetzt mit ziemlicher Sicherheit sagen.«
»Nämlich?«
»Dass der Schütze mit dem Gesicht zur Tür auf dem Bett gesessen hat, als Portner hereinkam.«
Verhoeven riss die Augen auf. »Wie bitte?«
Die Gesichter seiner Kollegen fuhren schlagartig herum.
Verhoeven sah Interesse. Neugier. Aber auch Verständnislosigkeit.
»Na ja …«, knurrte Dr. Gutzkow am anderen Ende der Leitung. »Ich an Ihrer Stelle würde nicht länger von Notwehr ausgehen.«
4
Damian Kender betrat das Sombrero, wo bereits einige seiner Kollegen an einem großen Tisch gegenüber der Theke saßen und Pause machten. Er wollte sich nur einen Kaffee holen und dann gleich wieder verschwinden. Seine Tasse hielt er bereits in der Hand. Dieselbe Tasse, die ihm die Kollegen im letzten Jahr zum Geburtstag geschenkt hatten. Damian brachte sie fast immer mit, wenn er auf einen schnellen Kaffee herüberkam, und seltsamerweise
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