Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
ihrer Chemotherapie nahm sie eine Halbtagsstelle in Frankfurt an. Als Verkäuferin in einem Bioladen. Was sie dort verdient, reicht zusammen mit der Witwenrente, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Zumal Frau Schwarz das Haus bereits mit dem Erlös aus dem Verkauf ihres Restaurants abbezahlt hatte. Sie kann keine großen Sprünge machen, aber sie kommt klar.«
Winnie Heller betrachtete die Porträtaufnahme der Frau, die für sie bislang nicht viel mehr als ein Name war. Ihre Züge
strahlten Stärke aus, auch wenn die Schmerzen und Sorgen der Vergangenheit deutliche Spuren hinterlassen hatten.
Winnie dachte an Irina Portner und an den Eindruck, den die junge Russin auf sie gemacht hatte – unsicher, verschüchtert. Auf jeden Fall nicht stark. Oder doch? Sie legte das Foto beiseite und nippte an ihrem Kaffee. War die Momentaufnahme einer kurzen Begegnung, noch dazu unmittelbar nach einer solchen Tat, überhaupt dazu angetan, um sich ein Bild von einer Persönlichkeit zu machen? Oder gab es nach einem traumatischen Erlebnis wie diesem zu viel, das einem die Sicht verstellte?
»Opfer Nummer drei ist Gymnasiallehrerin«, erklärte Wieczorek, der bereits ein neues Foto in der Hand hielt. »Iris Vermeulen, zweiundfünfzig Jahre alt und verheiratet mit einem holländischen Ingenieur. Das Paar hat drei Kinder. Die jüngste Tochter ist fünfzehn und wohnt noch zu Hause.« Er sah aus dem Fenster, wo die Sonne trotz der frühen Stunde bereits wieder von einem wolkenlosen Himmel brannte. Jemand war zur Bäckerei gefahren und hatte Brötchen besorgt. Dazu gab es Kaffee in rauen Mengen. Trotz der Hitze. »Zum Zeitpunkt der Tat war Gus Vermeulen gerade wieder mal für ein paar Wochen im Ausland, was keine Seltenheit ist in seinem Job. Die Tochter war in ihrem Zimmer, eine Etage höher, und hat geschlafen, als ihre Mutter überfallen wurde. Sie hat von dem Ganzen nicht das Geringste mitbekommen.«
Winnie Heller registrierte, wie die Augenbrauen ihres Vorgesetzten in die Höhe schnellten. Wahrscheinlich überlegte er gerade, was passieren würde, wenn seine eigene Tochter die Hilferufe ihrer hochschwangeren Mutter überhörte. Tja, mein Lieber, dachte sie, indem sie ihn mit einem wenig mitleidsvollen Blick bedachte, du wolltest doch so unbedingt noch Zuwachs für deine heilige Bilderbuchfamilie. Dann sieh auch zu, wie du deine Nerven in den Griff bekommst!
»Was das Anschleichen betrifft, ist unser Mann im Übrigen
mehr als geschickt.« Wieczoreks Finger spielten mit der Kappe seines Kugelschreibers. »Keine der Frauen hat irgendwas gehört oder gesehen, bevor sie dem Kerl sozusagen gegenüberstand. «
»Haben wir trotzdem so was wie eine Beschreibung?«, erkundigte sich Verhoeven.
Wieczorek seufzte. »Etwa eins achtzig, schlank, dunkel gekleidet. «
»Das ist alles?«
»Das ist alles.«
»Na toll«, rief Oskar Bredeney, der Veteran des K K 11 und ein langjähriger Weggefährte von Verhoevens verstorbenem Mentor Karl Grovius. »Dann weiß ich, glaub ich, wer das ist!«
»Ah ja?«, scherzte Stefan Werneuchen, sein Partner.
»Klar, der Kerl lebt in der Wohnung unter mir. Aber wirklich was sehen oder hören tust du von dem nicht. Er lebt eher … Na ja, zurückgezogen.«
»Wahrscheinlich versucht er einfach nur, deinen blöden Witzen zu entkommen«, stichelte Werneuchen.
»Privat bin ich todernst«, gab Bredeney zurück.
Seine Kollegen lachten.
»Der Artist hinterlässt grundsätzlich keine Fingerabdrücke«, fuhr Wieczorek fort, nachdem die Heiterkeit wieder abgeflaut war. »Weder dort, wo er einsteigt, noch an den eigentlichen Tatorten.«
»Dafür hinterlässt er sein Sperma«, versetzte Bredeney trocken.
Der Beamte vom K 12 nickte. »So ist es.«
»Ich nehme an, der DNA-Abgleich hat keine Ergebnisse gebracht? «, fragte Verhoeven.
Wieczorek schüttelte grimmig den Kopf. »Wir haben ihn durch sämtliche verfügbaren Datenbanken gejagt, einschließlich ViCLAS. Aber er ist nirgendwo registriert.«
»Was nicht zwingend bedeuten muss, dass er nie zuvor als
Vergewaltiger in Erscheinung getreten ist«, bemerkte Verhoeven, mehr zu sich selbst als an seine Kollegen gewandt. »Vielleicht hat er sich ganz einfach nicht erwischen lassen.«
»So ähnlich argumentieren unsere Psychologen auch«, erklärte Wieczorek. »Zumindest spricht das Ausmaß seiner Brutalität ihrer Meinung nach dafür, dass er dergleichen nicht zum ersten Mal macht.«
»Haben Sie denn Fälle gefunden, die ein ähnliches Tatschema
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