Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
aufweisen wie das der aktuellen Serie?«, fragte Winnie Heller.
Der Kollege vom K 12 verneinte. »Aber auch das muss nichts besagen. Vielleicht haben die betreffenden Frauen die Tat nicht angezeigt.« Er zuckte die Achseln. »Sie alle wissen, wie hoch die Dunkelziffern in diesem Bereich sind. Und wenn ein etwaiges früheres Opfer unseres Mannes körperlich nicht so schwer verletzt war, dass es zwingend ärztliche Hilfe benötigte, wäre es durchaus denkbar, dass die betreffende Frau das Geschehen aus Scham oder Angst verdrängt hat.«
Vor Winnie Hellers Augen blitzte für ein paar Sekundenbruchteile ein Bild auf. Ein dunkler Parkplatz und Blätter im Wind, hoch über ihrem Kopf. Dazu eine Hand, die sich auf ihren Mund presst. Hart. Rau. Sie schluckte und versuchte, die Erinnerung abzuschütteln. Aber es wollte ihr nicht gelingen. Der Vorfall, von dem sie außer Lübke niemandem erzählt hatte, lag jetzt fast ein Jahr zurück. Und der Mann, der ohne jede Vorwarnung über sie hergefallen war, war nicht viel mehr als ein dunkler Fleck in ihrer Erinnerung. Trotzdem ließ er sich einfach nicht verdrängen.
»Die Tatsache, dass unser Mann grundsätzlich kein Kondom benutzt, zeugt von einem enormen Selbstbewusstsein«, setzte Wieczorek unterdessen seine Erläuterungen fort. »Oder anders gesagt, er fühlt sich offenbar sicher genug, um seine genetische Visitenkarte zu hinterlassen, wenn Sie so wollen. «
»Er weiß, dass wir damit wenig anfangen können«, murrte Bredeney.
»Das kommt ganz auf den Blickwinkel an.« Wieczorek lehnte sich zurück. »Einerseits ist ihm klar, dass wir ihn in keiner unserer Datenbanken finden können. Andererseits eröffnet er uns mit dem Hinterlassen seiner DNA explizit die Möglichkeit, ihm jedes einzelne Opfer zweifelsfrei zuzuordnen.«
»Vielleicht ist er stolz auf seine Taten«, sagte Winnie Heller.
»Möglich.«
»Und wie lange hält er sich üblicherweise in den Häusern seiner Opfer auf?«, wollte Verhoeven wissen.
»Schwer zu sagen«, antwortete Wieczorek. »Da die Frauen durch die Betäubung eine ganze Weile außer Gefecht gesetzt sind, konnten wir hierzu bislang nur Vermutungen anstellen. «
»Die da wären?«
»Wir schätzen, dass er etwa eine Viertel- bis halbe Stunde an den Tatorten zubringt. Vielleicht auch länger.«
»Aber es gibt keine Hinweise darauf, dass er außer der Tat selbst noch irgendetwas anderes in den Wohnungen anstellt?«
»Nein.«
»Und er lässt auch nichts mitgehen?«
Wieder schüttelte Wieczorek nur den Kopf. »Die Frauen sagen, es fehle nichts. Und er lässt auch nichts zurück.«
Oh doch, dachte Winnie Heller, er lässt etwas zurück. Verletzte Seelen. Und Angst. Namenlose, unvorstellbare Angst …
Wieczorek griff nach der Akte, die vor ihm auf dem Konferenztisch lag. »Das vierte Opfer ist von Beruf Tierärztin, Merle Olsen. Die Mutter stammt aus Schweden«, ergänzte er, als er sah, dass Verhoeven über den Namen stolperte. »Frau Olsen ist zweiundvierzig und lebt in einer lesbischen Partnerschaft mit einer Humanmedizinerin. Unser Mann hat ihr das Jochbein zertrümmert und darüber hinaus drei Rippen gebrochen. Trotzdem wurde sie vergleichsweise schnell wieder
wach und konnte aus eigener Kraft die Polizei verständigen. Etwas, das auf Opfer Nummer fünf leider nicht zutrifft.« Er hielt ein Foto in die Höhe. Es zeigte ein hübsches, von blondem Haar umrahmtes Frauengesicht mit auffallend hellblauen Augen. »Edyta Bary, dreiundvierzig Jahre alt, gebürtige Polin, geschieden von einem Deutschen und seit fünfzehn Jahren im Besitz eines deutschen Passes. Sie hat als Altenpflegerin in einem Seniorenheim in Biebrich gearbeitet und ist Mutter eines erwachsenen Sohnes.«
Hat gearbeitet , hallte seine Stimme hinter Winnie Hellers Stirn wider. Als ob sie schon tot wäre …
Wieczorek schien gleichfalls bewusst zu werden, wie unglücklich seine Formulierung gewählt war, denn er unterbrach sich und hustete trocken. »Unser Mann hat so oft und so heftig auf ihren Kopf eingeschlagen, dass Frau Bary schwerste Hirnverletzungen davontrug. Sie wurde erst zwölf Stunden nach der Tat von einer Freundin gefunden, was ihre Chancen, irgendwann wieder einmal ein normales Leben zu führen, nicht gerade verbessert hat.«
Verhoevens Finger spielten mit dem Henkel seiner Kaffeetasse. »Wird sie wieder aufwachen?«
»Sie wissen doch, wie diese Ärzte sind«, stöhnte Wieczorek anstelle einer Antwort. »Wenn Sie da eine Prognose verlangen …« Er brach ab
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