HMJ06 - Das Ritual
seinem Telefon? Jemand hat wegen des Lamms den ärztlichen Notdienst angerufen. Das muss er gewesen sein. Gibt es denn bei diesen Telefonzentralen keine Anruferidentifikation? «
»Doch, über so was verfügen sie schon. Und sie haben auch eine Nummer gespeichert, was anfangs aussah wie eine solide Spur, bis wir herausbekamen, dass er ein Tracfone benutzt hat.«
»Was ist das?«
»Eine Art tragbarer Münzfernsprecher. Die einzige Information, die man über sich weitergeben muss, ist die Vorwahl des Bezirks, von dem aus man die meisten Gespräche führen wird. Er nannte den Times Square.«
»Verdammt noch mal!«
»Es ist fast so, als wäre dieser Kerl so etwas wie ein Geist.«
»Ich versichere Ihnen, dass er kein Geist ist«, bekräftigte Eli. »Können Sie sich seine Telefonnummer nicht vom Notdienst geben lassen?«
Strauss zuckte die Achseln. »Klar kann ich das. Warum?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich will sie einfach wissen. Sie ist unsere einzige Verbindung.« Eli veränderte – äußerst behutsam – seine Lage im Bett. »Was ist mit Adrian? Was hat er gesehen?«
»Adrian ist nutzlos. Ihm wird jedes Mal schwarz vor Augen, wenn er eine schnelle Bewegung macht. Der glaubt noch nicht mal, dass wir schon August haben. Das Letzte, woran er sich erinnert, ist im Juli passiert.«
»Nun, das ist ja auch nicht so schlecht, denke ich«, sagte Eli. »Dann kann er zumindest meiner Version von den Ereignissen nicht widersprechen.«
»Wegen Ihrer Version machen Sie sich mal keine Sorgen.« Strauss erhob sich und ging am Fußende des Bettes auf und ab. »Wer ist dieser Kerl? Das ist es, was ich wissen möchte! Nach dem, was Sie mir erzählt haben, scheint er ziemlich fit zu sein. Hat Adrian – zack-zack – auf die Bretter geschickt. Und es sieht außerdem so aus, als wäre er auf alles vorbereitet gewesen. Demnach muss er Ihnen beiden gefolgt sein.«
»Wenn er jemandem gefolgt ist, dann muss das Adrian gewesen sein«, sagte Eli. »Er muss Adrian gefunden haben, als er das Lamm ausgeforscht hat.«
All diese Mühen, dachte Eli. Alles umsonst.
Adrian war ein hervorragender Kundschafter. Stets hielt er Ausschau nach dem nächsten Lamm. Wenn der Zeitpunkt einer neuen Zeremonie heranrückte, dann begannen alle Mitglieder des Zirkels, sich auf den Bürgersteigen und in den Fußgängerzonen umzusehen. Aber Adrian war stets wachsam. Auch wenn bis zu einer neuen Zeremonie noch ein ganzes Jahr Zeit war, hielt er die Augen offen. Er hatte sich so sehr über seinen letzten Fund gefreut: Er hatte das richtige Alter und folgte einer festen zeitlichen Routine, so dass man seine Aktionen vorausberechnen konnte. Das geeignete Lamm.
Sie hatten den Jungen beobachtet und gewartet, und gestern Abend hatten sie gewusst, dass es endlich so weit war: eine regnerische Nacht kurz vor Neumond. Der Fang hatte perfekt geklappt, sie waren schon fast durch Elis Tür, als …
»Es ist völlig egal, wem er gefolgt ist«, sagte Strauss. »Jetzt kennt er Sie und Adrian. Von wem weiß er sonst noch?«
Eli wollte nicht, dass Strauss sich zu sicher fühlte, daher meinte er: »Nun, wenn er dieses Zimmer überwacht, dann weiß er wahrscheinlich jetzt auch über Sie Bescheid.«
Strauss unterbrach seine Wanderung. »Scheiße! Und ich dachte, ein persönlicher Besuch wäre sicherer als zu telefonieren.«
»Das ist er auch. Sie haben das Richtige getan. Blicken wir doch den Tatsachen ins Auge, schlimmstenfalls kennt er schon längst alle zwölf Mitglieder des Zirkels. Aber ich habe eine viel größere Sorge: Warum hat er uns nicht angezeigt?
Wir wissen, dass er ein Telefon bei sich hatte. Adrian und ich waren ausgeschaltet und völlig hilflos. Er brauchte sich nur zurückzuziehen und die 911 zu wählen.«
»Aber das hat er nicht getan«, sagte Strauss und massierte mit zitternden, mageren Fingern seinen Hals. »Er hat den Jungen weggeschleppt und dann angerufen. Er hätte den Helden spielen können, aber er ist einfach von der Bildfläche verschwunden.«
»Und er hat das Messer mitgenommen«, fügte Eli hinzu. »Warum? Es war mit meinen Fingerabdrücken übersät, nicht mit seinen.«
»Aber sein Blut klebte daran, zusammen mit Ihrem.«
Eisige Finger griffen nach Elis Wirbelsäule. Mein Blut … wollte er eine Probe von meinem Blut … vielleicht für eine eigene Zeremonie?
Strauss pochte mit der Faust auf das Fußbrett von Elis Krankenbett. »Nichts davon ergibt irgendeinen Sinn. Es sei denn …«
»Es sei denn was?«
»Es sei denn, der
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