HMJ06 - Das Ritual
und wirkte so reizend und unschuldig wie zuvor, aber ganz und gar nicht so, als täte ihr wirklich Leid, was geschehen war.
»Warum? Das war ein guter Mensch! Er hat weder dir noch irgendjemand anderem jemals geschadet! Wie konntest du ihn nur töten?«
Tara kam näher. Ihr Blick heftete sich auf Gia – aber nicht auf ihr Gesicht, sondern auf ihren Bauch.
»Weil er nur im Weg gewesen wäre.«
Es rieselte Gia eiskalt über den Rücken. Ein tiefes Unbehagen ergriff allmählich Besitz von ihr. »Im Weg … wem im Weg?«
»Er hätte bei dem, was als Nächstes geschieht, nur gestört.«
Das Blut in Gias Adern erstarrte zu Eis, während sie mit unsicheren Bewegungen auf die Füße kam.
»Ich verstehe nicht.«
Tara lächelte. »Dein Baby wird mein Baby.«
14
»Nein-bitte-nicht!«, jammerte Bellitto und wand sich im Sessel, während Jack die Mündung des Schalldämpfers auf eine Stelle dicht über seinem linken Knie presste. Er starrte auf den Bogen Papier auf seinem Schoß. »Bitte! Das habe ich noch nie im Leben gesehen!«
»Lügner!«
»Nein! Ich schwöre!«
»Dann lesen Sie es jetzt. Sie haben zehn Sekunden Zeit.«
Die dunklen Kräfte in Jacks Innerem rüttelten an den Gitterstäben ihres Käfigs, um freigelassen zu werden und den Abzug zu betätigen und die Kniescheibe dieses Mistkerls zu zertrümmern. Aber Jack behielt sich in der Gewalt. Bellitto war nicht mehr der Jüngste. Auf keinen Fall wollte er ihn durch einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall verlieren.
Er hätte beinahe selbst einen Herzinfarkt bekommen, als er das Büro am anderen Ende der Wohnung betreten hatte. Ein kleines Zimmer, kein Platz für einen Zeitgenossen von Minkins Körperbau, um sich dort zu verstecken, aber Jack hatte trotzdem im Wandschrank nachgeschaut. Leer. Auf dem Weg nach draußen hatte er zufällig einen Blick auf den Bogen Papier geworfen, der im Auffangkorb des Faxgeräts lag. Sein Blick huschte über die handgeschriebenen Zeilen, während er an dem Gerät vorbeiging. Und er war bereits durch die Tür nach draußen getreten, als eins der Worte, die er gesehen hatte, in seinem Bewusstsein hängen blieb …
… Westphalen …
Mit einem entsetzten Aufschrei war er zu dem Faxgerät zurückgekehrt, hatte das Papier aus dem Korb geangelt und den Text gelesen:
Erfolg! Die Kontoauszüge ihrer Visa-Karte weisen eine umfangreichere Abbuchung durch eine Einrichtung namens Pint-Size Picassos auf, bei der es sich um ein Sommerferienlager in der Nähe von Monticello handelt. Ich habe dort nachgefragt, und das Westphalen-Paket ist dort zu finden. Es braucht nur abgeholt zu werden, und schon sind wir im Geschäft. A. kann den Auftrag ohne größere Probleme durchführen.
DIESE NACHRICHT SOFORT VERBRENNEN!
Jack las die Zeilen noch einmal, dann ein drittes Mal, und konnte es noch immer nicht glauben … Westphalen … Pint-Size Picassos … Das war Vicky. Bellitto und seine Bande hatten Vicky im Visier!
Wie? Warum? Sie konnten unmöglich über Vickys Verbindung zu ihm Bescheid wissen – sie wussten ja noch nicht einmal, wer er überhaupt war!
Oder etwa doch?
Er brauchte dringend einige Antworten.
Bellitto sah von der Notiz hoch. »Ich weiß nicht, was das ist! Ich habe es noch nie gesehen! Es muss sich um einen Irrtum handeln!«
»Das reicht jetzt.« Er drückte den Schalldämpfer härter gegen Bellittos Knie.
»Mein Gott, Jack!« Lyle stand hinter Bellitto und verfolgte das Geschehen mit einer Mischung aus Abscheu und Entsetzen.
»Hey, ich bin kein Unmensch.« Er wollte hier und jetzt keinesfalls eine Schießerei anfangen. Wenn man sich zu so etwas hinreißen ließ, wusste man nie, wo das Ganze endete. Aber er musste es wissen. Er hatte nämlich das Gefühl, dass Bellitto kurz davor stand, den Mund aufzumachen. »Ich überlasse ihm die Wahl, welches Knie ich mir zuerst vornehme.«
Bellitto versuchte, sich wegzudrehen. »Nein! Bitte! Sie müssen mir glauben, dass ich dieses Papier nie gesehen habe! Sehen Sie sich doch die Uhrzeit oben am Rand an! Es ist gerade erst angekommen! Das Fax hatte sich gemeldet, und ich war gerade unterwegs, um nachzuschauen, als Sie reinkamen.«
Er nahm das Blatt Papier und reichte es Lyle – dabei ließ er Bellitto nicht aus den Augen. »Stimmt das?«
Lyle musste die Augen zusammenkneifen, um die winzige Druckschrift lesen zu können, dann nickte er. »Ja. Die Sendezeit war vor zwei Minuten.« Er ließ die Mitteilung wieder auf Bellittos Schoß flattern. »Warum
Weitere Kostenlose Bücher