Hochsaison. Alpenkrimi
Wollschon war da, und die Drogistin von gegenüber rief:
»War das ein schöner Nachruf, Herr Pfarrer! So positiv und moralisch erhebend wie nie. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: So eine gute Predigt habe ich noch nie von Ihnen gehört!«
Der Pfarrer lächelte süßsauer.
»Um ganz ehrlich zu sein«, sagte er, »die Predigt habe nicht ich geschrieben, sondern diese Polizeipsychologin.«
»Ach, das tut mir jetzt leid, Herr Pfarrer.«
»Apropos Psychologie«, sagte der Feuerwehrhauptmann Mirgl, »wo ist denn eigentlich der Manfred?«
»Ja, den habe ich schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen.«
»Und auf der Beerdigung war er auch nicht.«
»Vielleicht ist so ein Andrang in seiner Praxis!«
Alle lachten und prusteten. Alle wussten, dass Manfred Penck in seiner neu eröffneten Mediationspraxis auch nach gut einem Jahr noch keinen einzigen Klienten gehabt hatte. Nicht einmal ein redlich auseinandergelebtes Ehepaar hatte sich zu ihm verirrt, kein einziger Beziehungsdepp oder Streithansel hatte um – na ja – professionellen Beistand gebeten. (Was auch kein Wunder war: In diesen Breitengraden regelte man verfahrene Angelegenheiten in den eigenen vier Wänden, man hielt die Kulisse aufrecht und ging nicht hausieren mit seinen Problemen.) Jeder wusste, dass Penck niemals Konfliktforscher, Katastrophenberater oder Bundeswehrpsychologe gewesen war, wie er immer erzählte. Jedem hier in der Bäckerei und auch im Ort war klar, dass er noch nie irgendetwas gestemmt hatte. Er wurde – Liberalitas Bavariae! – als liebenswürdiger Spinner akzeptiert, wie es in jeder Gemeinde einen gab. Jeder wusste, dass er seinen Lebensunterhalt damit verdiente, dass er bei dem einen oder anderen Bauern im Stall oder bei dieser oder jener Wirtin in der Küche mithalf.
Momentan aber befand sich Manfred Penck in der Arrestzelle der kleinen österreichischen Gendarmerie gleich hinter der Grenze. Er deutete auf die Wand vor sich.
Kommissar Jennerwein – helfen Sie mir!
– war dort deutlich und dramatisch zu lesen. Dann drehte er sich langsam um. Er war unrasiert, hatte Augenringe und wirres Haar. Er sah nicht gut aus.
»Was tust
du
denn hier?«, fragte Maria entgeistert.
»Sie kennen diesen Mann?«, fragte Jennerwein.
»Ja, natürlich. Das war ein Studienkollege von mir. Ich wusste, dass es ihn hierher in den Kurort verschlagen hat. Ich wusste aber nicht, dass –« Sie wandte sich direkt an Penck. »Sag einmal, spinnst du! Du hetzt uns hierher, während wir –«
»Maria, mäßigen Sie sich!«
»Ist doch wahr! Wir haben momentan anderes zu tun, als solchen Spinnereien nachzugehen.«
»Bitte, Herr Kommissar!«, rief Penck. »Helfen Sie mir! Jemand ist hinter mir her. Ich bin in großer Gefahr. Ich habe mit dem Feuer gespielt, jetzt kann ich es nicht mehr löschen.«
»Wieso sind Sie in großer Gefahr?«, fragte Jennerwein ruhig. »Sie haben hier auf dem Revier einen Polizisten geohrfeigt. Warum?«
»Man nimmt mich nicht ernst!«
»Was haben Sie mit den Anschlägen zu tun?«
»Alles!«, schrie Penck. »Alles! Alles! Ich kann Ihnen alles beweisen! Aber deswegen habe ich Sie nicht rufen lassen.«
»So, er hat uns rufen lassen«, spottete Maria. »Wie gnädig von ihm!«
»Mit dem Anschlag auf den Zitherer habe ich nichts zu tun. Ich bin nicht der Mann, der einen Mord begeht. Aber jetzt ist es passiert, verstehen Sie! Die Frau hat mich bedroht –«
Jennerwein wurde ungeduldig. Er atmete scharf aus und machte eine unwirsche Handbewegung.
»Wissen Sie was, das klingt mir jetzt alles zu wirr. Erst bestreiten Sie, einen Mord begangen zu haben. Im nächsten Augenblick haben Sie doch wieder einen begangen –«
»Eine fernöstlich aussehende Frau –«
Schlagartig wurden Jennerwein und Maria hellhörig.
»Sie liegt bei mir in der Wohnung auf dem Boden. Sie ist tot. Ich bin dafür verantwortlich. Und es gibt Hintermänner. Die chinesische Mafia. Beschützen Sie mich, Herr Kommissar!«
»Die chinesische Mafia, aha. Wissen Sie was«, sagte Jennerwein, »bloß aus alter Freundschaft zu Frau Schmalfuß. Wir fahren jetzt alle drei zu Ihrer Wohnung, Herr Penck. Und wenn an der Geschichte
nichts
dran ist, können Sie was erleben! Dann sind Sie wegen Behinderung der Ermittlungen dran. § 258 St GB .«
»Ich weiß!«, rief Penck. »Ich war mal Polizeipsychologe.«
»Einen Schmarren warst du«, sagte Maria.
Sie fuhren in Pencks Wohnung. Penck selbst sperrte auf. Die Wohnung war leer. Keine Frauenleiche lag auf dem Boden,
Weitere Kostenlose Bücher