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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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gelassen. Er schweigt, und ich habe den Eindruck, dass er dieses Schweigen noch tagelang durchhält.«
    »Also ein Trittbrettfahrer?«, fragte Ostler.
    »Für einen bloßen Trittbrettfahrer hat er viel zu viel riskiert«, sagte Jennerwein. »Wenn jemand einen Polizisten angreift, dann muss etwas Größeres dahinterstecken. Wir müssen herausbekommen, was er auf dem Friedhof zu suchen hatte. Rein touristisches Interesse an katholischen Beerdigungsritualen wird es nicht gewesen sein.«
    »Und wenn er tatsächlich nicht gut oder gar nicht deutsch spricht?«
    »Der spricht hervorragend deutsch«, sagte Nicole. »Der hat mich doch bequatscht ohne Ende.«
    »Gehen wir wieder hinein.«
    »Verstehen Sie uns?«
    Schweigen.
    »Brauchen Sie einen Dolmetscher?«
    Schweigen.
    Schweigen.
    Schweigen.
    (
Szroczcki, Verhörtechniken, S. 156, »Spiegelung des Verhaltens des Verhörten durch die verhörenden Beamten«
)
    »Wissen Sie, dass in unserem Land solch ein Angriff auf einen Polizeibeamten mit Gefängnis nicht unter fünfzehn Jahren bestraft wird?«
    Keinerlei Regung. Schweigen. Nur weiter so, dachte Wong. Mit jeder Minute, die verstreicht, komme ich näher an unser großes nationales Ziel. Shan wird es schaffen. Sie wird unsere ehrenvolle Aktion zu Ende führen. Nur noch ein paar Stunden, dann steht sie vor Rogge.
    »Wollen Sie ein Glas Wasser?«
    Ich selbst müsste dieses Verhör hier führen, dachte Wong. Dort drüben müsste ich sein, wo diese Provinztölpel jetzt stehen. Ich würde schon einiges mehr erfahren. Die Tricks der schlaksigen Frau sind zu durchsichtig, wie aus einem Lehrbuch der Verhörtechnik, viel zu mechanisch angewandt. Die Frau, an deren Schutzweste sein Ka-to abgeglitten war, sagte gar nichts, sie schaute ihn nur milde lächelnd an, mit einem großmütigen Ich-vergebe-dir-Lächeln, das ihn wohl weichklopfen sollte. Keine Chance. Der leitende Kommissar ist der Gefährlichste, dachte Wong.
    »Wollen Sie eine Tasse Tee? Wir trinken hier alle Tee. Möchten Sie auch eine Tasse?«
    Er sieht aus wie ein Bürobote, dessen Gesicht man schon vergessen hat, wenn der Blick noch darauf ruht. Aber er stellt die besten Fragen. Und er stellt sie gut, er stellt sie so, dass man fast ein bisschen schmunzeln muss und dadurch unaufmerksam
wird. Was gibt es jetzt dort zu flüstern? Alter Polizeitrick. Soll den Verhörten ablenken.
     
    »Kommen Sie, Chef, kommen Sie schnell«, flüsterte Nicole Jennerwein zu. Zwei Minuten später saßen sie im Polizeiauto und jagten in Richtung Friedhof.
    »Manchmal gibt es so etwas«, sagte Nicole zu Jennerwein, »dass der Trubel so groß ist, dass niemandem ein verlorengegangenes Stück auffällt.«
    »Hier war es«, sagte Nicole, als sie wieder auf dem Kiesweg standen. »An dieser Stelle habe ich ihn aufgefordert, die Kamera abzulegen. Er hat die Kamera so verkrampft festgehalten, dass ich zuerst dachte, das wäre seine Waffe.«
    »Eine kleine Kamera als Waffe?«
    »Ja, nach alledem, was wir von Becker über Laserwaffen gehört haben.«
    »Verstehe.«
    »Jetzt aber denke ich, dass er die Kamera aus anderen Gründen so verkrampft festgehalten hat. Es sind Fotos drauf, die wichtig für ihn sind. Oder die etwas verraten.«
    Sie suchten den Kiesweg ab. Sie krochen auf dem Boden herum. Dem Kiesweg sah man an, dass vor ein paar Stunden eine Horde von Leuten drübergetrampelt war. Sie suchten die Gräber in der Nähe ab. Nichts.
    »Sie schon wieder!«
    Sie hatten den Friedhofswärter gar nicht gehört.
    »Ja, wir schon wieder.«
    »Suchen Sie was Bestimmtes?«
    »Eine Kamera. Eine kleine Digitalkamera.«
    »Kommen Sie mit.«
    Der Friedhofswärter hatte alle Fundsachen der letzten zwei Stunden auf einem Tisch ausgebreitet. Zwei Regenschirme, vier Krückstöcke, sechzehn Schachteln Zigaretten, darunter die
schwer erhältliche Dubaier Marke
Wüstensand
, zwei Handtaschen, eine ungeladene Pistole Marke Luger, eine CD
Marianne und Michael
(signiert), acht Taschentücher, ein linker Herrenschuh, ein Briefumschlag mit Jetons der örtlichen Spielbank im Wert von fünftausend Euro, dreizehn Brieftaschen, eine unbekannte Anzahl von Blumensträußchen und Grabgebinden, ein Siegelring mit den Initialen J. R., vier Digitalkameras. Nicole erkannte die Digitalkamera des Asiaten sofort wieder, es war die einzige schwarze.
     
    Becker war immer noch im Übertragungswagen und wertete die Aufzeichnungen von der Trauerfeier aus.
    »Können wir die Fotos hier sofort anschauen?«, fragte Jennerwein.
    »Kein Problem«,

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