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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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hielten sich die Ohren zu. Nur zwei Personen in der Grünfläche der Almwirtschaft hatten die Explosion mehr oder weniger erwartet und erschraken nicht zu Tode. Da war einmal Jennerwein, der spurtende Hauptkommissar, der auf einen verdutzten, in den
Himmel starrenden IOC -Präsidenten zuraste. Und dann war da noch die zierliche kleine Frau, die etwas abseits an einem Viehzaun stand. Sie trug eine Golfkappe. Auch sie ging nicht in Deckung. Hätte sie das gemacht, wäre sie Jennerwein vielleicht gar nicht aufgefallen. Der Kommissar war davon überzeugt gewesen, dass die Gefahr dort oben, irgendwo in der Flotte der bunten Luftschiffe lauerte. Jetzt erkannte er, dass die Gefahr für Rogge von dieser Frau ausging. Sie konnte ihre fernöstlichen Wurzeln nicht verleugnen. Und sie steckte gerade ein kleines, dunkles Kästchen in ihren Rucksack zurück. Das war keine Brotzeitschatulle, kein bergkompatibles Notebook, kein Transistorradio, kein randvolles Gipfeltagebuch – dieses Kästchen sah verdammt nach einer selbst gebastelten Fernzündung aus. Eine Peilantenne, ein großer Drehknopf, ein Kippschalter, das hatte Jennerwein noch gesehen, bevor der Apparat im Rucksack verschwand. Die Frau musste die Explosion verursacht haben – die Attentäter hatten tatsächlich eine Stütze der Bergbahn gesprengt. Und jetzt lief diese Frau über die Almwiese auf Rogge zu. Der war in die Hocke gegangen, die Thüringer hielt er immer noch in der Hand, er machte Anstalten, sich auf den Boden zu legen. Immer noch und immer wieder waren Explosionen zu hören, viele kleine Geräuschkaskaden, hässliche Schnalzer, das heisere Gebell von detonierendem Sprengstoff. Stengeles Truppe war zu spät gekommen, dachte Jennerwein, sie hatten es anscheinend nicht mehr geschafft, die Zündung außer Kraft zu setzen. Rogge lag jetzt auf dem Bauch. Die Frau war noch fünfzehn Meter von ihm entfernt, Jennerwein änderte seine Laufrichtung. Er rannte jetzt auf die Frau zu, die ihn noch nicht gesehen hatte. Was hatte die Frau vor? Er hatte keinerlei Anzeichen dafür entdeckt, dass sie eine Waffe trug oder gezogen hatte. Zehn Meter. Die Frau schien sich ihrer Sache sicher zu sein, sie blickte sich nicht einmal um, sie nahm offenbar an, dass jeder im Umkreis von zwei Meilen auf dem Boden lag und
wartete, bis alles vorbei war. Fünf Meter. Erst als Jennerwein zum Schlussspurt ansetzte und loshechtete, blickte sie zu ihm hin. Da war es aber schon zu spät. Das hatte sie nicht erwartet, sie konnte nicht mehr ausweichen. Shan hatte Jennerweins Gesicht schon oft in der Zeitung gesehen. Der, den sie immer wieder mal als Provinztölpel bezeichnet hatte, flog auf sie, die kleine zierliche Lotusblüte, zu, riss sie um, bedeckte sie mit seinem Körper, begrub sie unter sich. Doch ehe er ihre Hände zu fassen bekam, um sie ganz auf den Boden zu drücken, schaffte sie es noch, sich ein kleines, postkartengroßes Stück Papier in den Mund zu stecken.
     
    Die Flachländerin Nicole Schwattke und der behäbige Franz Hölleisen waren keine besonders guten Bergsteiger, sie hatten dem beherzt dahinstapfenden Ludwig Stengele irgendwann nicht mehr folgen können. Jetzt aber wummerte die ohrenbetäubende Explosion, und sie gingen zunächst in Deckung. Erst nach ein paar Sekunden blickten sie auf: Keine herumfliegenden Teile. Beide waren wohlauf.
    »Wir hätten ihn nicht gehen lassen sollen«, schrie Nicole. »Wir hätten zusammenbleiben sollen.«
    »Die Stütze!«, brüllte Hölleisen. »Sie haben die Stütze gesprengt!«
    Man konnte die Stütze zwischen den Nebelschwaden erkennen. Sie schien zu wanken.
    »Sie muss jeden Augenblick kippen! Sie kommt auf uns zu!«
     
    Jennerwein lag auf der zierlichen Frau. Sie strampelte jetzt und schrie, doch er hatte sie an den Händen gefasst und hielt sie mit seinem Gewicht am Boden. Sie versuchte ihn zu treten, und beide rangelten noch eine Zeitlang, rollten dabei ein Stück weit einen kleinen Abhang hinunter, weg von Jacques Rogge, der von dem Vorfall wohl gar nichts mitbekommen hatte und gierig
in seine Thüringer biss – auch eine Art der Angstbewältigung. Jennerwein blickte hinauf zu der VIP -Terrasse. Sie schien menschenleer, doch er wusste, dass sich alle auf den Boden geworfen hatten. Jeder der Leibwächter hatte sein Objekt sicherlich unter sich begraben. Nur einer, der kaiserlich Leibwächterlose (denn wer würde es wagen!) stand aufrecht auf der Terrasse.
     
    »Los, auf geht’s! Wir müssen uns um Stengele kümmern!«, schrie

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