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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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dass sie im hinteren Teil des Brustkorbs steckte. Abermals brach ihm der Schweiß aus. Er
konnte sich lebhaft vorstellen, was ihm blühte, wenn er hier einen Fehler machte. Er verlangte heißes Wasser und saubere Tücher. Aus seiner Arzttasche holte er blutstillendes Material, dann Pinzetten, Klammern, Kompressen, Jod, Alkohol und alles, was man eben gemeinhin braucht, um eine Kugel aus dem Fleisch zu fischen. Er reinigte die Wunde. Dann fuhr er mit der Pinzette ein Stück weit in den Einschusskanal. Xun Yü hatte auf einen Waschlappen gebissen, auf dem
Gruß aus der Pension Alpenrose s
tand. Dr. Steinhofer hatte nicht gedacht, dass ein Mensch so viele Schmerzen aushalten konnte. Er zog die Pinzette wieder heraus und wandte sich an die beiden anderen, die aufmerksam zusahen.
    »Wollen Sie ihn nicht dazu überreden, die Pistole aus der Hand zu legen?«
    »Nein«, sagte Wong. »Er ist der Chef.«
    »Einer von Ihnen kann mich ja weiter bedrohen.«
    »Wer von uns Sie bedroht, ist unsere Sache«, sagte Shan.
    »Ja klar, aber ich operiere so nicht weiter. Irgendwann bekommt dieser Mann hier einen hypovolämischen Schock, dann verliert er die Kontrolle über sich. Ein Schuss könnte sich lösen. Zufällig. Das macht mir Sorgen. Verstehen Sie das?«
    »Bei ihm löst sich kein Schuss zufällig. Das ist Xun Yü, der Terminator. Der dich in den nächsten Daseinszustand schickt. Er ist ein begehrter Mann in der Szene, deswegen ist er der Führer unseres Teams.«
    »In welcher Szene? Was für ein Team?«
    »Das wollen Sie alles gar nicht wissen.«
    Diese Frau sächselte leicht. Dr. Steinhofer hätte wetten können, dass da ein kleines bisschen Zeitzer Dialekt durchschimmerte.
    »Operieren Sie jetzt.«
    Der alte, eigentlich schon pensionierte Allgemeinmediziner zog die zwei Hautlappen auseinander, die den Wundkanal jetzt
verdeckten. Er klebte sie mit Pflaster fest und fingerte nach dem Blutgefäß, das geplatzt war. Er zog es heraus und umwickelte es mit Heftpflaster. Dann ließ er die Ader wieder – Heiliger Sauerbruch hilf! – ins Innere des Körpers zurückschnellen. Er warf einen kurzen Blick auf das Gesicht Xun Yüs. Die Schmerzen, die dieser Mann momentan hatte, mussten auf einer nach oben offenen Skala bis ins Jenseits reichen. Aber er hatte Dr. Steinhofers Aktion trotzdem beobachtet.
    »Was war das?«, fragte er gepresst. Die Worte schienen ihm mehr Schmerzen als der Eingriff selbst zu bereiten.
    »Eine Schlagader. Versorgt den Bauchraum mit Blut. War beschädigt.«
    Xun Yü winkte mit der Pistole, weiterzumachen.
     
    Dr. Steinhofer war alt und pensioniert, aber er war nicht dumm. Er wusste, dass ihn Verbrecher solchen Kalibers nicht lebend würden laufen lassen. Er versuchte Zeit zu gewinnen und einen Plan zu entwickeln, wie er aus diesem Schlamassel wieder herauskommen könnte. Er führte die Vorbereitungen so langsam wie möglich durch, machte viele Handgriffe doppelt, untersuchte Puls, Atmung, Pupillenreflex, Blutdruck, Zunge, klopfte hierhin und dorthin. Er dachte dabei fieberhaft nach. Der Angriff musste völlig überraschend kommen. Er durfte Xun Yü nicht eine Zehntelsekunde Zeit geben, Verdacht zu schöpfen.
    »Ich muss Ihnen eine Spritze geben, um den Kreislauf zu stabilisieren.«
    »Keine Spritze. Ich stabilisiere den Kreislauf selbst.«
    Ein Versuch war es immerhin. Dr. Steinhofer klopfte und tastete und tupfte und reinigte weiter. Der Schusskanal lief leicht schräg von oben nach unten auf den hinteren Brustraum zu, die Kugel war vermutlich kurz vor der Wirbelsäule stecken geblieben. Wenn er den Kanal mit dem Skalpell weiterverfolgen würde, müsste es möglich sein, mit einem beherzten Stich nach
oben die Nerven zwischen den unteren Halswirbeln zu durchtrennen und auf diese Weise eine künstliche Querschnittslähmung herbeizuführen. Träfe er den Nervenstrang vollständig und schnell, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass sein Patient augenblicklich die Kontrolle über die Arme verlieren würde, der rechte Arm würde erschlaffen, bevor Xun Yü das Geschehene realisiert hätte. Dann könnte er sich den Revolver aneignen und die beiden anderen damit bedrohen. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, das unterste Halssegment C-7 exakt zu treffen? Eher gering. Es waren nur einige Zentimeter, da musste er durch. Aber es war seine einzige Chance. Dr. Steinhofer riss ein Tütchen auf und nahm das Skalpell heraus, mit dem er diesen riskanten operativen Eingriff durchführen wollte. Shan und Wong standen etwas

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