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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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abseits, verfolgten aber jeden seiner Handgriffe misstrauisch. Es war eine Behandlung, die ihm selbst das Leben retten sollte und nicht das des Patienten, Hippokrates hätte nicht mit im Raum sein dürfen. Aber der alte Grieche mit seinen vier Säften war auch schon lange tot. Vorsichtig führte Dr. Steinhofer das Skalpell an das Einschussloch und hoffte, dass Xun Yü Laie genug war, um sich nicht zu fragen, warum er jetzt auf einmal mit einem Skalpell und nicht mit der Pinzette arbeitete. Doch dieser sah ihm nur ins Gesicht, nicht auf die Hände. Dr. Steinhofer schob die Spitze des Skalpells langsam hinein und suchte eine Position, von der aus er kräftig und gezielt zustechen konnte. Dr. Steinhofer war kein Facharzt für innere Medizin, er war kein Neurologe, er war kein Chirurg – diese Kollegen hätten sich alle wesentlich leichter getan bei dieser Aktion, er als Allgemeinarzt musste tief im Langzeitgedächtnis bis in seine Studentenzeit kramen und Vorlesungen über morphologische Anatomie rekapitulieren, wenn das nach so langer Zeit überhaupt möglich war. Vorlesung bei Prof. Dr. Stoephasius:
… zwischen dem oberen Leberlappen und dem unteren Zwerchfell sind die umschließenden
Bauchhöhlenverwachsungen so locker, dass man sogar mit der Hand durchkommt …
Dr. Steinhofer betrachtete seine skalpellführende Hand. Er ging jetzt auf die siebzig zu, und er war stolz darauf, dass seine Hand immer noch nicht zitterte. Dann fiel sein Blick auf Xun Yüs verzerrtes Gesicht. Dessen Augen waren hellwach, Dr. Steinhofer umschloss den Griff des Skalpells, er musste den Stich jetzt wagen oder nie. Xun Yü sagte leise:
    »Du hast Angst, mein Freund, große Angst.«
    Jetzt hätte Dr. Steinhofer stechen müssen, jetzt sofort, doch Xun Yü war schneller. Er hob die Pistole und schoss Dr. Steinhofer präzise in die Stirn. Er traf dabei die Schlagader des oberen Schläfenlappens nicht, deshalb spritzte kein Blut heraus. Das machte man als Terminator nur, wenn man etwas Spektakuläres haben, wenn man jemanden Dabeistehenden zu Tode erschrecken wollte. So aber sackte Dr. Steinhofer nur lautlos in sich zusammen und fiel auf Xun Yüs Oberkörper.
    »Was hast du gemacht?«, rief Wong.
    »Er hatte einen Plan«, sagte Xun Yü. Er sagte es ganz leise und Wong musste sich mit dem Ohr zu seinem Gesicht beugen, damit Xun Yü es nochmals sagen konnte.
    »Er hatte einen Plan. Sein Plan war gut.«

10
    Der ungünstigste Zeitpunkt, mit polizeilichen Ermittlungen zu beginnen, ist der späte Freitagnachmittag. Die Labors haben eben erst geschlossen, die Amtsstuben sind gerade nicht mehr besetzt, und heiser klingeln die Telefone in den verlassenen Rathausbüros. Einsam arbeitende Rechner schicken geheimnisvolle
out-of-office
-Meldungen zurück – hat man mit diesem Menschen nicht noch vor zwei Minuten telefoniert? Notdienste und Wochenendschichten sind mit zweiten Garnituren besetzt, die nur über das Allernötigste informiert worden sind, darüber hinaus sind die eingesprungenen SaSo-nis traditionell schlecht gelaunt und wenig hilfsbereit. Und wenn dann auch noch das Wetter gut ist! Zeugen, die man sofort vernehmen sollte, sind verreist, verliebt, verwellnesst. Verdächtige verwischen gemütlich ihre Spuren, schließen Zeitfenster, bringen sich über Sabbat aus der Schusslinie, nützen den Tag des Herrn, um ihre Untaten unter den Teppich zu kehren.
    An solch einem Freitagnachmittag, an einem hellblauen, fast schon wieder babyaugenblauen Tag, fuhr Kriminalhauptkommissar Hubertus Jennerwein mit einer bummeligen Lokalbahn ins Werdenfelser Land. Er war gut gelaunt, denn er hoffte, am Abend wieder zurück zu sein und sich dann gemütlich zu überlegen, was er am Wochenende unternehmen wollte. Doch jetzt saß er erst einmal in einem Waggon erster Klasse und genoss den noblen Anblick des zugefrorenen Starnberger Sees, der villenumrahmt, legendenumwittert und leicht dampfend vorbeiglitt. In Feldafing stiegen zwei Teenies ein und verstöpselten
sich schweigend mit einem Tandem-iPod. Sie drückten die Starttaste, und Jennerwein versuchte, von der unbeweglichen, hochkonzentrierten Mimik der beiden auf das zu schließen, was sie sich gerade anhörten. Keine Chance: Das hätte Bushido sein können, französische Grammatik oder ein neues Pumuckel-Abenteuer, alles war möglich. Gott sei Dank mordeten Teenies selten, dachte Jennerwein, man konnte in ihren Gesichtern nichts lesen. Der Zug hielt in Tutzing, dort stiegen sie, immer noch verkabelt, aus. Die

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