Hochsaison. Alpenkrimi
in fünf Minuten.«
»Ja, genau. Sie fahren jetzt weg und hinterlassen hier einen solchen Saustall.«
Jennerwein musste sich sehr beherrschen, nicht laut zu werden. Er atmete durch, dachte an angenehme Dinge und sagte:
»Der Begriff
Saustall
trifft meines Erachtens nicht ganz den Sachverhalt. Welchen Saustall haben wir angerichtet, der nicht schon da gewesen wäre?«
»Haben Sie den Fall nicht zu vorschnell abgeschlossen? Was ist mit Agassow, dem Russen?«
»Was soll mit dem sein?«
»Sørensen hatte genau den Startplatz, den Agassow normalerweise hat. Haben Sie das überprüft?«
»Ja, das haben wir überprüft«, sagte Jennerwein beherrscht.
»Überprüft schon, aber wie! Hatten Sie dazu überhaupt die Mittel? Ich kann Ihnen helfen. Ich kann meine Beziehungen zum Innenministerium spielen lassen.«
»Doch nicht etwa gar zum bayrischen?«
»Sie sind nicht in der Position, patzig zu werden.«
Ich wäre aber in der Position, dich achtundvierzig Stunden ohne Begründung einzulochen, dachte Jennerwein fast. Dieser Gedanke nahm jedoch keine Gestalt an. Der Gedanke rund um das Wort
Bogenschießen
verfestigte sich hingegen weiter.
»Wenden Sie sich an die zuständige Staatsanwältin!«, sagte Jennerwein zu dem wackeren Vereinsmeier, und bevor der etwas antworten konnte, drehte er sich um und ging.
»Ja, genau das werde ich tun!«, rief ihm Harrigl nach. Als Jennerwein am Bahnhof angekommen war, fuhr der Zug am Gleis 1 gerade ab. Er wählte Marias Nummer.
»Ich komme erst mit dem nächsten Zug.«
»In Ordnung, Chef. Ich dachte nur, es ist etwas Wichtiges.«
»Bis dann, Maria.«
Er legte auf. Er war eigentlich ganz froh, dass die Psychologin auf diese Weise nur noch eine halbe Stunde Zeit zum Gespräch hatte. So konnte er sich kurz und knapp fassen, dachte er.
Bogenschießen
. Das Wort rumorte weiter in irgendeinem Areal seines Hirns. Er ging noch ein wenig spazieren und versäumte dadurch auch den nächsten Zug. Er rief Maria abermals an und sagte den Termin ganz ab. Bogenschießen. Vielleicht haben wir die Kugel ja deshalb nicht gefunden, dachte Jennerwein, weil Sørensen mit etwas anderem beschossen worden ist als einer Projektilwaffe.
20
»Wieso musste es aber gerade ein Tennisturnier sein, Herr Bürgermeister? Ein Grand-Slam-Turnier in einem Wintersportort? Die ganzen Aufbauten, der ganze Aufwand – mit dem Geld hätte man doch –«
»Herrschaftszeiten, verstehen Sie, Fräulein, wir haben das Tennisturnier hier veranstaltet, weil wir ein anderes Image – weil wir uns nicht auf den Wintersport reduzieren lassen wollen –«
»Wer reduziert Sie denn auf den Wintersport?«
»Ja, Sie zum Beispiel, jetzt grade vorhin, und überhaupt die ganzen Medien: Immer ist nur vom
Winter
sportkurort die Rede, vom
Ski
paradies, von der
weißen
Hölle oder gleich von den Olympischen
Winter
spielen 1936. Wie das schon klingt: 1936! Neunzehnhundert! Sechsunddreißig!«
»Wie klingt das denn?«
»Ja, grauslig klingt das. Wie wenn wir etwas damit zu tun gehabt hätten.«
»Herr Bürgermeister, seien Sie doch froh, dass es eine Hochsaison im Winter gibt, im Sommer haben Sie dann ein bisschen Zeit und Muße –«
»Zeit und Muße? Ja, zum Schluss sind wir im Sommer dann die Einzigen, die noch da sind.«
»Wäre das so schlimm?«
»Ja freilich wäre das schlimm, wir machen ja keinen Umsatz mit uns selbst, kein Einheimischer geht zum Beispiel in die Hotels hier. Wir haben ja auch ein Sternelokal hier im Ort, da
geht auch kein Einheimischer rein. Ich war ja selber noch nicht drin.«
»Warum das denn? Ist es so schlecht?«
»Nein, es ist so gut wie alle anderen. Aber wenn ich als Bürgermeister da hineingehe, muss ich in alle anderen auch hineingehen, auch in die schlechten.«
»Es gibt also doch schlechte? Grade haben Sie noch gesagt: Es ist so gut wie alle anderen.«
Die Radioreporterin schaltete das Aufnahmegerät aus. Es sollte ein lockeres Interview werden, für eine lockere Sendung, doch jetzt war der Bürgermeister ins Schwitzen gekommen, hier in der Bäckerei Krusti, in der es selbstverständlich eine
Bürgermeister-Semmel
gab, eine Nachbildung seines ortsbekannten Charakterkopfes, in die mancher verstreute wackere Sozialdemokrat herzhaft hineinzubeißen Gelegenheit hatte. Das Radiointerview sollte hier, mitten im Ort, zwischen den Bürgern stattfinden, der Bürgermeister hatte sich, Volksnähe demonstrierend, darauf eingelassen. Aber die Ohren an den Nachbartischen waren immer größer geworden, die
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