Hochsaison. Alpenkrimi
Gespräche waren verstummt, einige der Lauscher waren sogar näher gerückt. Was als eine lockere Befragung zwischen zwei magistralen Terminen begonnen hatte, näherte sich einem inquisitorischen Interview, er war eingezwängt in seine eigene Leutseligkeit.
Er war so eingezwängt wie der Kurort selbst, dessen geographische Lage als zentral
und
abgelegen gleichzeitig bezeichnet werden kann. Im Süden und im Osten dräuen die wuchtigen Berge, die die Grenze zu Österreich bilden. Nimmt man einmal den Föhn aus, kommt aus diesen Himmelsrichtungen kaum jemand auf die Nordseite der Alpen, finden doch die Rotweißroten weder landschaftliche noch kulturelle noch sonst welche Gründe, zu den Piefkes zu fahren. Im Westen: das Allgäu. Nicht viel mehr als ein paar Waldwege führen dorthin, nach
ein paar Kilometern schwäbelt es schon kräftig in der quellgrünen und milchweißen Natur, und die Alemannischen, sonst in der ganzen Welt unterwegs, verirren sich selten in den Kurort. Der einzige nennenswerte Zu- und Abfluss ist im Norden zu finden. Und von daher wälzen sich also die Touristenlawinen durch künstlich mittelalterlich gehaltene Handelsgässchen und Winkelwege, stauen sich vor den bekannten Engpässen – um mehrheitlich dann doch nach Italien weiterzufahren.
Dieser Widerspruch zwischen dörflicher Abgelegenheit und globaler Mittigkeit führte dazu, dass einiges an internationalem Publikum da war, und es war nicht irgendein Publikum, nicht ein paar holländische Zwangscamper oder irische Guinnessdosen-Rucksackler, sondern richtig geldige Ansiedler und Großeinkäufer von Grund und einem
Sach
, wie der Bayer zu der Immobilie sagt. (Sonderbarerweise redet er, wenn die Immobilie größer ist, von einem
Sachl.
) Da waren die Amerikaner mit ihrer Garnison, die sich seit dem Ende des Krieges immer noch gehalten hat. Da waren einige arabische Scheichprinzen, die sich mit ihrem Gefolge an den Sonnenhängen niedergelassen und einen uneinsehbaren Staat im Dorf aufgemacht hatten. Und da waren seit neuestem viele Russen, Weißrussen und Ukrainer, die sich in einige marode Hotels eingekauft und diese renoviert hatten. Und diesem internationalen Publikum wollte man eben etwas bieten.
»Das mit dem Tennisturnier ist noch gar nichts«, flüsterte der Bürgermeister verschwörerisch hinter vorgehaltener Hand.
»Ach ja?«, sagte die Funkjournalistin und schaltete das Aufnahmegerät wieder ein. »Was kann denn da noch kommen?«
»Im Sommer werden wir ein Paragliderfestival veranstalten. Zweitausend Teilnehmer haben sich schon angemeldet. Die Drachen- und Gleitschirmflieger bewerben sich bekanntlich schon lange darum, als olympische Disziplin anerkannt zu
werden. Und über dem ganzen Talkessel wird es Dutzende von Flugdemonstrationen geben. Zielspringen, Höhenrekordflüge, Military Gliding –«
»Was ist denn das?«
»Das muss man sich wie Biathlon vorstellen, nur geht es eben in der Luft von Schießstand zu Schießstand.«
»Military Gliding. Kann sich so eine Randsportart überhaupt durchsetzen?«
»Jacques Rogge, Sie wissen schon, der IOC -Präsident, der hat schon zugesagt, sich das einmal anzusehen.«
»Und Sie meinen: Wenn der dabei ist –?«
»Na klar. Wenn Rogge bei einer Schneeballschlacht mitmacht, dann ist Schneeballwerfen am nächsten Tag olympisch.«
»Herr Bürgermeister, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.«
»Danke auch. Vielleicht könnten wir den letzten Satz weglassen. Der Präsident ist sehr wichtig für unseren Ort. Da will ich ihn nicht lächerlich machen.«
Die Reporterin nickte und verabschiedete sich. Von dem Interview mit dem Bürgermeister wurde nur der letzte Satz gesendet.
21
Lieber Herr Kommissar,
was habe ich da gehört: Sie geben auf? Sie schmeißen hin? Das finde ich aber jetzt ausgesprochen schade. Sie brechen die Ermittlungen mir nichts dir nichts ab – und waren doch so nahe dran an der Lösung des Falles Sørensen! Ich habe es in der Zeitung gelesen, dass Sie endgültig abgereist sind, weil kein hinreichender Verdacht mehr besteht, dass da irgendetwas Krummes gelaufen ist. Dass es also lediglich ein bedauerlicher Unfall war! Sie haben ein pfundiges Team, Herr Kommissar, ich habe es selbst gesehen, auf dem Gelände der Skischanze, ich war da, und es sind auch meine Steuergelder, die in so ein Team fließen, auch ich bezahle die ganzen Geräte und Computer – also gehen Sie bitte verantwortungsvoll mit meinen Abgaben um! Seien Sie Ermittler und ermitteln Sie! Denn es war
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